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„Wenn es jetzt Deine Hand wäre, würdest Du ja auch Acht geben.“ Zu Besuch auf Gut Wardow und ihren glücklich lebenden Hühnern.

Auf blauem Fuße

„Les Bleus“ – „die Blauen“ heißen die Hühner auf Gut Wardow, zehn Minuten vom Flughafen Rostock/Laage in Mecklenburg-Vorpommern entfernt. Les Bleus heißen sie wegen ihrer blauen Füße und ihrer direkten Verwandtschaft mit den berühmten Blaufußhühnern aus der Bresse. Weil die französischen Artgenossen von Lisbeth und Irene* sich einer geschützten Herkunftsbezeichnung erfreuen, mussten ihre deutschen Geschwister eine eigene Bezeichnung bekommen. Et voilá: „Les Bleus“ waren geboren.

Hat sich was mit Turbo

Anders als bei konventioneller Hühnerzucht, wo die Tiere jeweils auf Höchstleistungen entweder beim Eierlegen oder Fleischansetzen gezüchtet werden, sind Les Bleus eine so genannte Zweinutzungsrasse. Sie legen Eier (wenn auch nicht so viele, dafür aber sehr gute) und die Gockel setzen ordentlich Fleisch an, wenngleich dies erheblich länger dauert als bei der allgemein üblichen Turbomast.

Turbomast… Ja, richtig – man kann meinen etwas abfälligen Ton bei der Verwendung dieses Worts förmlich hören. Ein konventioneller Masthahn darf etwa 5 Wochen leben. Ein Les Bleus Hahn lebt mehr als dreimal so lang! In der konventionellen Mast ist der Grenzwert für den Platz, den die Tiere haben, 33kg/qm (mit Sondergenehmigung bis zu 39kg/qm). Die Les Bleus auf Gut Wardow haben … ach, seht doch selbst:

Ruhigbleiben beim Thema „Fleischpreise“. Ne, will ich nicht!

Direkt vorweg: Wer den Kilopreis eines Les Bleus Gockels mit dem eines Brathähnchens vom Discounter vergleichen will, kann hier aufhören zu lesen. Denn wir sprechen hier vom zehnfachen Preis. 

Doch was sagt uns das eigentlich, mal ehrlich hinterfragt?

Viele reden vom „Teuren Fleisch“. Viel zu wenige sprechen davon, dass „Billigfleisch“ den Markt beherrscht, und das so genannte „teure Fleisch“ einen angemessenen Preis trägt. Anders gesagt: Die Bresse-Hühner sind keineswegs überteuert. Sie haben einen angemessenen Preis, und jeder erstaunte oder besser noch entsetzte Blick sollte auf das Preisschild des armen Gockels im Discounter wandern. 

Woher nimmt TheMaskedChef die Chuzpe, diese Behauptung aufzustellen? Um dies zu erklären, will ich Euch mal in eine persönliche Geschichte mitnehmen. 

Mit Zweifuffzich fing es an

Ich wuchs in den späten ’60ern und frühen ’70er Jahren auf dem Land auf. Unsere Nachbarn waren allesamt Landwirte, hatten Kühe, Schweine, Hühner und Kornfelder. Der kleine Tommy kroch dort oft in den Ställen herum, er durfte im Sommer auf dem Mähdrescher mitfahren und er war an kuhwarme Milch und frisch gelegte Eier gewöhnt. 

Etwa in diese Zeit fielen die Anfänge der industriellen Massentierhaltung und damit der durchökonomisierten Massenproduktion von Milch, Eiern und Fleisch. In einer benachbarten Kleinstadt gab es einen Hähnchenzuchtbetrieb, der mit seiner ständig wachsenden Flotte an Hähnchen-Grill-Lastern montags, mittwochs und samstags in den umliegenden Städten seine Grillhähnchen mit einem Riesenerfolg feilbot. Ein halbes Grillhähnchen kostete Zweifuffzich (D-Mark!) und die wurden den Verkaufsfahrern förmlich aus den Händen gerissen. Wer nach 14 Uhr noch ein Grillhendl haben wollte, hatte meist Pech! 

Geschmacksverstärker & Geschmacksverzerrer

Der Erfolg von Hertels Grillhähnchen begründete sich maßgeblich auf der hauseigenen Gewürzmischung nach streng geheimer Familienrezeptur. Diese Gewürzmischung war so überladen mit Salz, Geschmacksverstärkern und süßem Paprikapulver, dass sie das etwas merkwürdige Aroma der Hähnchen – mein Vater sagte damals „die schmecken nach Fischmehl“ – überdeckte! 

Mein Vater (Gott hab ihn selig) machte mit mir die Probe aufs Exempel: Er besorgte zwei Hähnchen. Eines von besagter Firma (frisch und ohne die Gewürzmischung) und eines vom Nachbarn, dessen Hühner einen offenen Stall hatten, auf der Wiese und im Hof frei herumlaufen konnten und sich mit natürlichem Zufutter fettfressen durften. Beide Hühner würzte mein Vater mit Salz und steckte sie auf den Drehspieß mit batteriegetriebenem Motor an seinem Holzkohlengrill. Weil er gerade keinen Faden zum Zusammenbinden der Vögel zur Hand hatte, schnitt er kurzerhand die Sehne vom (Pfeil und) Bogen des kleinen Tommy … aber das ist eine andere Geschichte.

Der Geschmackstest war, gelinde gesagt, überwältigend! Fortan rief ich immer „Bäh!“ wenn wir an einem der Hähnchen-Grill-Laster vorbeigingen. Das ist bis heute so geblieben …

Echter Geschmack von Tieren, die echt leben durften

Als leidenschaftlicher Amateurkoch bin ich ständig auf der Suche nach guten und ursprünglichen Rohstoffen. Bei Facebook wurde ich auf Gut Wardow aufmerksam. Bresse-Hühner in Deutschland? Interessant! Gut 50 Min. Fahrzeit nach Wardow und ich durfte Dr. Wolfgang Grimme und seine Frau und all ihre  Les Bleus kennenlernen. 

Die Tiere dürfen wirklich leben: in geräumigen Mobilställen tummeln sich die Hühner in kleinen Gruppen von je etwa 300 – 600 Tieren. Sie  haben zu jeder Tages- und Nachtzeit freien Auslauf und Zugang zu natürlichem Futter (siehe oben).

Durch die eigene Aufzucht der Jungtiere vom Brutschrank über den Jungtierstall (mit Zugang ins Freie) bis zur Weide gewöhnen sich die Tiere frühzeitig an die Weidehaltung und folgen ihrer Natur, auf frischen Wiesen nach Käfern und anderem Krabbelgetier zu picken. Die Tiere sind robust und gesund. Die Voraussetzungen für das Bio-Siegel übertrifft diese Hühnerhaltung bei weitem.

Scheu kennen die Tiere nicht. Sie sind neugierig und gehen auf Menschen zu. Zu meiner sehr großen Freude!

Die Eier von den Les Bleus 

Ein Ei vom Gut Wardow kostet im Handel 55-60 Cent. Das mag teuer erscheinen. Doch auch hier wieder: betrachtest Du mal den Aufwand (Umsetzen der Mobilställe, die einzelnen Ställe zur Fütterung und zum Einsammeln der Eier abfahren), relativiert sich das total. Und dann der Geschmack! So ist es auch nicht verwunderlich, dass Wolfgang Grimme mehr Eier verkaufen könnte als seine Hennen legen. 

Seit Jahren bereits an den Geschmack von Freilandeiern aus dem Nachbardorf gewöhnt, haben mich die Eier mit der champagnerfarbigen Schale der Les Bleus nochmals überrascht! Echte Sonntagsfrühstückseier!

Eier von wirklich zufriedenen Tieren in einer tiergerechten Haltung

Das Fleisch von den Les Bleus

Die Hähnchen schmecken schlicht großartig. Das Fleisch ist fest und besitzt viel intramuskuläres Fett, was man sonst bei Hühnern kaum mehr kennt. Für mich kann es ein „Les Bleus Gockel“ jederzeit mit einer Ente oder Gans aufnehmen, was den Preis dann schon wieder relativiert. 

Doch ist die Vermarktung der Hähnchen erheblich schwieriger als die der Eier, denn größere Abnehmer im Einzelhandel bestehen auf einer Verkaufsverpackung mit Schaumstoffschale, Abtropf-Pad und einer bunt bedruckten Manschette. Damit sind regionale Öko-Schlachtereien in einer strukturschwachen Region wie Mecklenburg-Vorpommern bereits überfordert. Auch eine wöchentliche Lieferfähigkeit von Frischgeflügel ist nicht so hopplahopp umzusetzen. Bei einem derzeitigen Bestand von ca. 2.500 Hühnern wird auf Gut Wardow nun einmal nicht wöchentlich geschlachtet. Zudem darf die lange Aufzuchtzeit von mindestens 120 Tagen nicht außer Acht gelassen werden. Folglich setzen die Wardower derzeit noch hauptsächlich auf Tiefkühlung und haben gerade begonnen, tiefgefrorene Les Bleus Gockel über die Plattform pielers.de zu vermarkten. 

Für die Zukunft werden aber noch weitere Möglichkeiten erarbeitet. So denkt man beispielweise über eine „mobile Hofschlachtung“ mit sofortiger Frische-Verkaufsverpackung nach. Solche Investitionen aber rechnen sich erst ab einer bestimmten Herdengröße (mindestens das Doppelte des derzeitigen Bestands), es liegt also mal wieder auch an uns VerbraucherInnen, ob Landwirte wie Wolfgang Grimme stetig ausbauen können in Richtung „tiergerechtere Lebensmittelproduktion“. 

Übrigens hält man auf Gut Wardow auch Rauhwollige Pommersche Landschafe und Wasserbüffel. Die werden zur Schlachtung mit Weideschuss getötet, eine Maßnahme, die im Vergleich zu allen anderen Tötungsarten die bei weitem beste darstellt. Dazu wird es im Neuen Jahr auf jeden Fall ein weiteres Road-Trip-Tagebuch geben!

DANKE an EUCH!

Ich war zutiefst beeindruckt von meinem Besuch und bedanke mich bei Dr. Wolfgang Grimme und Jutta von Kuick für den herzlichen Empfang und vor allem für die 3 Stunden ihrer knapp bemessenen Zeit.  Die Liebe und die Überzeugung, mit der man auf Gut Wardow Ursprünglichkeit lebt, ist überwältigend. Nächsten Mittwoch fahre ich gleich wieder hin, denn da werden ausgediente Legehennen geschlachtet und als Suppenhühner verpackt … und ich muss dringend mal wieder 20 Liter Hühnerfond kochen.

*Was es mit „Lisbeth und Irene“ auf sich hat? 

Nun, so nennen die Freunde der Blaufüße pauschal ihre Hennen, denn man kann bei 2.500 Hühnern nicht jeder einzelnen einen Namen geben 😉  Mehr dazu gibt es hier!

Anmerkung

Dieser Beitrag enthält unentgeltliche Werbung für und Verlinkung auf Unternehmen, bei welchen ich einkaufe und die ich aus persönlicher Überzeugung gerne weiterempfehle.

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