Alex und Sandra vom Heuerhof. Wie eine neue Generation Landwirte Gräben überwindet.

Wir leben in unserer Bubble

Wenn ich mir morgens die ersten Nachrichten des Tages ansiehst, kann ich mich manchmal schon von der Sportmatte gerne direkt wieder ins Bett zurückrollen: Katastrophen und Elend, soweit das Auge reicht. Die einen ziehen daraus ihre Konsequenzen; leben zum Beispiel nachhaltiger, essen weniger Fleisch, fahren weniger Auto, schmeißen weniger weg. Und viele mehr „Weniger“. 

Andere gehen einen deutlichen Schritt weiter. Wie Sandra und Alexander Reichenberger. Sie waren in der Steuerberatung tätig und leben heute mit ihren zwei Kindern auf dem Heuerhof in Elbergen. Juliane, Lioba und ich besuchten sie am Samstag und durften lernen, was es heißt, echt konsequent aus der eigenen Bubble auszusteigen. 

Weltreise im Kopf

„Schön die Welt anschauen und Co2 verballern!“

Alexander Reichenberger

Alex und Sandra leben – wie viele landwirtschaftliche Familien, die wir besuchen – in einem urgemütlichen Haus, das in Einrichtung und Atmosphäre eine eigene Sprache spricht. Du merkst, wie sich hier Menschen eingerichtet haben, die wissen, was sie wollen. Und was nicht. 

Die bisherige, erfolgreiche Vita der Beiden ist rasch erzählt: Noch vor 3 Jahren hatte Alex eine eigene Steuerberatungskanzlei mit 30 Mitarbeitenden, seine Frau Sandra war Partnerin dieser Kanzlei. Bis es sie im wahrsten Sinne des Wortes wegtrieb. 

„Wir wollten schon immer mal auf Weltreise gehen. Und irgendwann setzen wir diesen Plan in die Tat um. Zu Beginn noch recht unreflektiert: Schön die Welt anschauen und Co2 verballern!“ lacht Alex. Doch die Reise veränderte etwas in Sandra und Alex. „Die ersten 3 Monate dachten wir noch oft an unsere Firma, obwohl wir uns auf unserer lang ersehnten Urlaubsreise befanden“ wundert sich Sandra heute. Doch das Arbeiten u.a. auf einer Kaktusfarm in Argentinien brachte diese festgefahrenen Gedankenautobahnen ins Wanken. 

Kambodscha, nachts um 1 Uhr

Auf je mehr Höfen sie arbeiteten, desto größer wurde die Gewissheit, inwiefern ein Leben auf Kosten anderer in unserer westlichen Industrienation selbstverständlich geworden ist. Und zogen den Schluss: Wir wollen unser Leben ändern. Noch innerhalb der 10 Monate, die die Weltreise dauern sollte, verkauftem Reichenberger ihre Kanzlei.

Es war in Kambodscha nachts um 1 Uhr, die Ratten flitzten um sie herum, während Alex und Sandra mit den Verhandlungspartner via Telefonschaltung ins nächtliche Kambodscha sprachen. „Das Gefühl war goldrichtig! Wir wollten den Ausstieg genau da raus!“ erinnern sich die Beiden heute. 

Heute leiten Alex und Sandra einen Biohof in Vollerwerb, dem Heuerhof. Mit eigenem Acker- und Gemüseanbau, Mobilställen für ihre Zweinutzungshühner aus der ÖTZ (Fokus auf Bruderhähne!), einer kleinen Highland Cattle Herde und seit kurzem einen kleinen Hofladen. Alles zertifiziert nach Demeter-Richtlinien

Bullerbü-Romantik? Mitnichten. Alex absolvierte eine landwirtschaftliche Berufsausbildung. „Wenn du es nicht von der Pieke auf lernst, wirst du nie mitreden können,“ weiss er heute. Ein Jahr auf einem konventionellen Betrieb, ein Jahr Biohof inklusive Berufsschule. Die Beiden möchten zurück in eine landwirtschaftliche Vergangenheit, die die Zukunft sein wird. 

Von Kanzleibilanzen zur gemeinschaftlichen Ökobilanz

Das Konzept der Gemeinwohl-Ökonomie leitet die Reichenberger in ihrem wirtschaftlichen Antrieb. Dieses dreht das erzkonservative kapitalistische System vom Kopf auf die Füße: nicht mehr Gewinn und Profit ist Ziel unternehmerischen Handelns. Sondern gemäß der Urväter der Ökonomie (die übrigens keine Wirtschaftswissenschaftler, sondern Moralphilosophen waren), steht der sinnvolle Dienst an der Gesellschaft im Fokus unternehmerischen Handelns. Anders formuliert: Das Ziel ist das ethisch gute Leben aller.

Menschen wie Alex und Sandra brechen dazu aus ihrem gemütlichen, gesicherten Leben aus, um ein „besseres“ Leben zu führen. Aber eben ein besseres Leben nicht nur für sie, sondern für andere. Das Vorleben ist essentiell. Nicht umsonst verbindet sie eine tiefe Freundschaft zu Björn Scherhorn. Erinnerst Du Dich: #vorlebenstattnachgeben?)

Alex und Sandra sprechen und laden aktiv ein über ihre sozialen Medien (Instagram | Facebook), über ihre Website und engagieren sich in Verbänden wie Demeter und ihrer hofeigenen Solidarischen Landwirtschaft, Alex ist überdies als Berater in der Gemeinwohlökonomie tätig.

Diese verrückten Ökos

Die alten Grabenkämpfe bringen uns nicht weiter.

Alex

‚Richtige Ökos!‘ möchte der eine oder andere hier gemäß des Volksmundes ausstoßen. Und ja, Die Reichenbergers sind Bio durch und durch. Doch Fakt ist, dass wir eine neue Landwirtschaft und mithin wirtschaftliche Blickverschiebung brauchen. Beides muss zusammengedacht werden. Wirtschaft prägt unsere Gesellschaft. Aber zu wenig wird berücksichtigt, dass wir auch die Wirtschaft prägen können, wenn wir es wollen. Der Satz „Dein Einkaufszettel ist Dein täglicher Stimmzettel“ ist hier nur die einfachste Tages-Empfehlung. 

Das Klischee „Öko“, genauso wie die alten Grabenkämpfe zwischen „Bio“ und „konventionell“ sollten langsam überwunden werden, ist sich Alex sicher. Es ginge um eine gegenseitige Befruchtung; denn auch die konventionelle Landwirtschaft dreht sich im Kreis: „Ganz viele, die ich in der Berufsschule kennengelernt habe, treibt das Gefühl, dass sie es immer so weitermachen müssen.“ Erzählt mir Alex. „Doch genau das darf nicht geschehen! ‚Immer größer‘, ‚immer mehr‘ ist hier häufig das Richtmaß. Dass jedoch für jeden großen Hof drei kleine schliessen müssen, ist vielen nicht bewusst.“

Die Lösung besteht nach Sandra und Alex im Verstehen der Zusammenhänge. Auch und besonders von Lebensmitteln. 

Fleischlose Weltrettung 

„Ich habe ein Problem mit einem Großteil der veganen Lebensmittel.“

Alex

Dass wir alle weniger Fleisch essen sollten, steht für mich außer Frage. Doch Pauschalempfehlungen, mithin Pauschalverurteilungen, sind manchmal trotz aller guten ethischen Absicht mit Vorsicht zu genießen. Alex bringt es im Hinblick auf die leider teils überhöht präsentierte moralische Überlegenheit einiger vegan lebender Menschen auf den Punkt: 

„Ich habe wirklich mein Problem mit einem Großteil der veganen Lebensmittel, die viele Menschen täglich verzehren und dabei so tun, als schützten sie damit den gesamten Planeten. Weißt du, das ist doch ungefähr so, als ob ich als Demeter-Bauer mein eigenes System auf dem System der konventionellen Landwirtschaft abstützen, aber gleichzeitig über sie schimpfen würde!“ 

Tatsächlich lohnt ein Blick in die Wertschöpfungskette vieler veganer Produkte. Was da täglich verzehrt wird, wird erst mit Hilfe tierischer Produktion ermöglicht. Die veganen Lebensmittel, die in der kompletten Wertschöpftungskette komplett vegan und damit wünschenswert sind, sind heute noch eine Seltenheit (pflanzliche Alternativen basieren überwiegend auf Eiweißen aus Soja, Erbse, Weizen und Süßlupine Quelle).

„Konsequent vegan in der kompletten Wertschöpfungskette produziert finde ich super! Aber bitte nicht rum unken und meine ach so vermeintlich ethischen Lebensmittel auf einem unethischen System abstützen.“

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen; Alex besitzt keinen Zweifel an der redlichen Intention des Vegetarismus und Veganismus. Aber:

„Leute, bleibt ehrlich! Informiert euch über die Zusammenhänge. Wenn jemand sagt: Ich möchte nur auf Fleisch verzichten! Aber Eier möchte ich haben.‘ Dann ist das aus meiner Sicht nicht ok. Wir können doch nicht nur eine Sache produzieren, es gehört alles zusammen.“

Eine neue Generation LandwirtInnen 

Keine Frage, Alex ist – nach eigener Aussage – aus dem Alter raus, in dem mal besser der Mund gehalten wird, es könnte ja unbequem werden. Das teilt er deutlich mit Björn Scherhorn. 

Die beiden kennen sich aus der Demeter-Gemeinschaft. Ab dem ersten Tag der Begegnung waren die beiden Buddys. Ich kann mir gut vorstellen, weswegen die beiden miteinander können: geradeheraus in den Statements, keine Kompromisse aber immer sanft im Sprechen. Weder Björn noch Alex greifen an oder bilden weiter Fronten aus, die in der Landwirtschaft leider gerade in den Medien so charakteristisch geworden sind. Sie machen ihr Ding, packen das Problem an der Wurzel und sprechen darüber. Und nehmen so andere Menschen wirkungsvoll mit. 

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