#vorlebenstattnachgeben: Die, die einem auffallen
Gesicht zeigen ist bei Björn Programm. Wer seinem Instagram Kanal folgt, wird seine Videos kennen und schätzen. In unverblümter Sprache berührt der Landwirt nicht nur die neuralgischen Punkte gängiger industrieller Landwirtschaft – nein: er lebt eine andere, eine natürlich gewachsene Landwirtschaft vor. Mit seiner Frau Johanna und zwei kleinen Söhnen und einer Tochter bewirtschaften er den Hof Scherhorn in Berge (Niedersachsen).
Es wurde echt Zeit, Björn live kennenzulernen.
Björn: Direktvermarktung im Blut
„Mit meinen Eiern, die ich als kleiner Junge verkaufte, habe ich mehr verdient als in meiner Ausbildung in der Landwirtschaft. Ja, geht’s noch?!“
Björn Scherhorn
Lioba, Juliane und ich kommen am vergangenen Samstag im fröhlichen Regenwetter am Hof Scherhorn an. Die Natur hier ist bombastisch.
Elterlicherseits kommt Björn aus der Landwirtschaft. Und doch lebt er heute eine so andere Art des ländlichen Wirtschaftens, wozu im Kern eine gesunde Distanz zu industriellen Prozessen, und eine Rückkehr zu Natur, Tier und den Menschen gehört. Zur Direktvermarktung kam Björn bereits in jüngsten Jahren: Als kleiner Junge ging er von Tür zu Tür, und verkaufte Eier von seinen Hühnern, die er selbständig als Kind halten durfte.
„Mit meinen Eiern, die ich damals verkauft habe, habe ich mehr verdient als nach meiner Ausbildung in der Landwirtschaft. Ja, geht’s noch?!“ fragt mich Björn halb scherzend, als wir in Richtung der riesengroßen Weide gehen, wo ca. 70 Milchkühe der Scherhorns 24/7 stehen. Einzig im Winter werden sie für 3 Monate aufgestallt. Toller Anblick! Aber kein selbstverständlicher.
Kreislauf: Eine Landwirtschaft für die Kinder
„Dem Mann mit dem Cowboyhut beim Sterben zuschauen – von wegen!“
Björn Scherhorn
Johanna und Björn kommen beide ehedem aus der klassischen Landwirtschaft. Doch Altes blind weiterführen, ist nicht ihr Ding. Schritt für Schritt führten sie ihren Betrieb über die Jahre aus „normalen“ Strukturen heraus. Häufig belächelt von denen, „die dem Mann mit dem Cowboyhut beim Sterben zuschauen wollen!“ lacht Björn.
Nun ja, Scherhorns gelten mit ihrer Haltung von und zu den Tieren sowie der Natur klischeehaft als „Ökos“. Doch was diese Familie macht, ist nichts anderes als die moderne (!) und konsequente Rückführung des landwirtschaftlichen Handelns an die Gesetzmäßigkeiten der Natur. Knapp 80 Hektar Weiden und Äcker werden 100% ökologisch bewirtschaftet, Pflanzenschutzgifte und synthetische Dünger kommen ihnen nicht aufs Feld. Denn die Scherhorns denken nicht nur heute an ihre Kinder: „Wir in den westlichen Industrienationen sind so begünstigt! Wir müssen hier als Vorbilder vorangehen und die Zukunft so gestalten, dass unsere Kinder gut davon leben können!“ Gemäß dem Motto:
„Low Input: Vertraue auf das, was hier wächst!“
Björn Scherhorn
Ihre besten Mitarbeiterinnen auf dem Hof sind dabei die Milchkühe, die den Kreislauf der Weidewirtschaft gesund in Gang halten.
Natürlich: muttergebundene Kälberaufzucht
„Man kann doch mit seiner Kaufentscheidung entscheiden, was sich am Markt durchsetzt! Also gehen wir als Vorbild voran.“
Johanna Scherhorn
„Das erste, was die Kälber sehen sind ihre Mütter, uns und die grüne Weide.“ Erzählt Björn, während wir inmitten der Kuhherde und ihrer Kälber stehen. Ein Aquitaine Bulle flätzt ebenso gemütlich am Boden. Bei Scherhorns wird der Natursprung vollzogen.
„Und dann stell ich die Kälber mit zwei Wochen auf die Transporter und die landen in der holländischen Kälbermast auf Spaltenboden?“ Mit diesem in der Landwirtschaft routinehaft ablaufenden abscheulichen Umgang mit Kälbern beschreibt Björn seinen Ausstieg aus der landwirtschaftlichen Normalität. Seit November haben Johanna und er auf muttergebundene Kälberaufzucht umgestellt und sind Mitglied in der Interessengemeinschaft IG Muttergebundene Kälberaufzucht
Dieses Konzept der Milch-Zukunft (was es zweifelsohne ist!) verlangt den teilnehmenden Betrieben derzeit viel Mut und Risikobereitschaft ab. Milch ist ein viel zu billiges Produkt – trinken die Kälber noch ihren gerechten Anteil, bleibt für den Landwirt kaum was übrig. Hier heißt es: Kämpfen. Und das können Scherhorns.
Leben: Harte Prüfungen
Björn und Johanna setzen nicht auf das Endziel: Geld verdienen. Sie fokussieren auf immer wiederkehrende Kreisläufe. Ihre Leitfrage: „Wie müssen wir handeln, damit die Natur uns den nötigen Anteil geben kann, von dem wir leben können?“ Diese natürliche Balance hält den Hof am Laufen. Beispielsweise kommt Björn kein Kraftfutter in den Trog. Diese Kosten spart er ein …
… und wird von seinen Kühen mit einer höheren Milchleistung belohnt!
Denn obwohl seine Kühe damals in der noch alten Haltung viel Milch gegeben haben, konnten Scherhorns von dieser Hochleistung der Kühe nicht leben – die Preise wurden schlicht nicht an den Verbraucher weitergegeben. Heute verkaufen Scherhorns ihre Milch an die Berliner Milch- und Käsemanufaktur sowie über die Nordfrische Bauernmilch. Ferner ist der Hof Scherhorn nach Biokreis und Demeter zertifiziert. Starke Partner, die die Mühen dieser Familie honorieren möchten.
Dabei hat Björn alles andere als ein easy Leben hinter sich. Ganz am Boden? Ja, da war er schon. Sein Hof etwa war damals in der Ökoumstellung, da ging die Molkerei pleite. Knapp vier Monate lief es, dann war Aus die Maus. Aus solchen Erlebnissen heraus – und weil Johanna felsenfest seit vier Jahren an seiner Seite steht – hat Björn viel Energie fürs Hochkämpfen geschöpft. Das Vorleben, nicht Beklagen, gehört zum Lebensmotto.
Leit(d)spruch „Wachse oder weiche“? Von wegen – raus aus der Anonymität!
„Ich lass doch meinen Rolls Royce nicht mit einem Dacia vergleichen!“
Björn Scherhorn
Bald wird ein Online Shop eröffnet werden, um das Fleisch aus der muttergebundenen Kälberaufzucht zu vermarkten. Denn dieses Konzept lebt davon, dass wir alle eine Sache verstehen: Milch und Fleisch müssen zusammen gedacht werden. (Lesenswert: Ingmar’s „Wer Kälber liebt sollte sie essen“). Ohne Eigen- und Direktvermarktung derzeit undenkbar am Markt umzusetzen. Viele kluge LandwirtInnen wissen das (wie z. B. Astrid, die ebenso stark im Vorangehen ist.)
Und kommt jemand und schnackt Björn an: „Deine Produkte kann sich doch keiner leisten!“ ist der Junglandwirt mit Freude auf den Plan gerufen: „Meine Tierhaltung ist Rolls Royce, da stecke ich alles rein, damit die höchste Qualität stimmt! Und natürlich kann ich die daraus entstehenden Produkt nicht auf den Weltmarkt schmeißen und dort verramschen. Denn dann (preis-) vergleiche ich doch meinen Rolls Royce mit einem Dacia! Oder anders gesagt: Ich bau doch keine Dacia-Teile in meinen Rolls Royce ein!“ Und so weiss er:
„Wenn ich nicht rausgehe, kriegt keiner mit was ich hier mache.“ Scherhorns wecken durch ihre Videos und Bilder, ihr Sprechen und konsequentes Verhalten Begehrlichkeiten bei den Menschen, die kapiert haben, dass uns die Industrie nicht er-NÄHRT. Sondern zunehmend Essen vor die Nase stellt, das das Nahr-hafte vollmundig verspricht, aber kaum hält.
„Industrielle Landwirtschaft? Da haben alle gewonnen, bis auf die Landwirte und die Tiere!“
Björn Scherhorn
„Eigentlich ist es einfach.“ Plaudert Björn. „Ich liefere als klassischer Landwirt den Rohstoff an die Industrie. Das ist eine anonyme Masse, die ich da auf den Markt schiebe und genauso anonym wie diese Masse bin auch ich. Und wenn ich immer mehr wachse und anbaue, und einen schon überfluteten Markt immer mehr sättige, dann kann ich doch nur pleite gehen!“
Fortschritt: Manchmal braucht es Unvernunft
Um es auf den Punkt zu bringen: Scherhorns leben gut, nicht obwohl, sondern weil sie konsequent auf Weidehaltung umgestellt haben. Allen Unkenrufen zum Trotz. Björn ist in seiner Haltung so ziemlich das Gegenteil eines jammernden Menschen. Mit allem, was er sagt, hörst du seine Eigenverantwortung raus. Darin wird ein Schlüssel des erfolgreichen Wirtschaftens stecken, der nicht einfach so kopierbar ist für alle Betriebe, kein Zweifel.
Doch eines sollten wir hier eben einfach mal anerkennen: es gibt nicht DEN Weg einer tiergerechteren, der Natur wieder zugewandten Landwirtschaft. Es gibt unzählige davon. Wichtig ist, dass sie gegangen und bitte von uns unterstützt werden.
Vernünftige Menschen neigen nämlich dazu, sich an den Fortschritt zu hängen. Daher benötigt der Fortschritt von Zeit zu Zeit unvernünftige Menschen – Menschen, die vorangehen!
Johanna und Björn brauchen nicht erst die Trend-Welle am Horizont sehen, um ihre Surfboards rauszuholen und mit zu schwimmen. Sie schaffen die Welle.