Ist Fleisch essen richtig oder falsch? Ein Vorschlag zum Weiterdenken.

Ist Fleisch essen richtig?

Kaum eine andere Frage hat im meinem sozialen Umfeld und in mir selbst so viel Zündstoff freigelegt wie diese hier. Und nach fast 30 Jahren kann ich sagen, dass ich zu einem glasklaren „Ich weiss es nicht!“ gelangt bin.

„Richtig“ oder „Falsch“. Wonach würde ich das denn eigentlich bemessen? Biologisch? Ethisch? Juristisch? Einer Mischung aus allem? Nun, die wissenschaftlichen Theorien gehen hier auf jeden Fall soweit auseinander, wie die individuellen Erfahrungen und Einschätzungen all der unzähligen Menschen, mit denen ich im Laufe meines Lebens darüber gesprochen habe. 

Was Fleisch essen mit Nähe zu tun hat

Als ich mit ca. 11 Jahren begann, tierische Produkte nicht nur vom Teller, sondern auch aus meinem sprachlichen Toleranz-Wortschatz zu verbannen, lag es daran, dass sich zu den hinter den Produkten stehenden Tieren plötzlich Nähe entwickelt hatte. Damals durch persönliche Beobachtungen erst in einem Stall, dann in einem Schlachthof. Das, was ich dort sah, war so entsetzlich, dass es etwas in mir auslöste.

Ich brauchte aber lange um zu verstehen: viele Menschen sehen das Elend der Nutztiere. Das kann, muss aber keinen Einfluss auf ihr Verhalten ausüben. Durch meine Arbeit im Weidefunk verstand ich dann noch etwas anderes: es ist ok, wenn Menschen ihren Fleischkonsum nicht einstellen.

Was für mich dagegen in die Rubrik „nicht ok“ purzelt, ist hingegen das Ausblenden, dass es sich bei Fleisch und Milch (-produkten) um Lebensmittel handelt, die nun einmal schlicht ein Leben im Hintergrund behandeln:

Je mehr ein Mensch sich dieser Tatsache öffnet, die Tiere „hinter“ den Produkten kennenlernt, Nähe und damit Gefühle ihnen gegenüber zulassen kann, desto eher finden wir auch einen Weg, das eine zu tun – Fleisch essen – ohne das andere zu lassen – den Tieren ein würdevolles Leben und Sterben zu bieten.

Intime Zwiegespräche mit Dir führen

Daher könnte es doch an der Zeit sein, dass wir die Frage mal ein wenig abwandeln, oder? Ich mache mal Vorschläge: 

  • „Welche Gedanken sollte ich mir gemacht haben, bevor ich Fleisch esse?“
  • „Was könnte ich vorher getan haben, damit ich mit einem richtig guten Gefühl Fleisch essen kann?“
  • „Wann tut mir Fleisch essen eigentlich gut? Wann tut es das weniger oder nicht?“

Ja: Bei diesen Fragen handelt es sich um intime Zwiegespräche mit einem selbst. Man fühlt sich selbst auf den Zahn. Aber sollte es in der Fleisch- und Milchdiskussion nicht gerade darum gehen: Stärker über sein eigenes Handeln und damit die eigene Verantwortung(sübernahme) nachzudenken? 

Die Frage „Ist Fleisch essen richtig oder falsch?“ dagegen führt eigentlich von einem selbst weg: die einen sagen ja, die anderen sagen nein. Und was haben wir daraus gelernt – für uns?

Und wichtiger: Was haben wir über die Motive der Anderen gelernt?

Aus der Schwarz-Weiß-Mentalität endlich rauskommen

Wenn ich sage: „Fleisch essen ist falsch – das darfst du nicht!“ Und Du sagst zu mir: „Doch, will ich aber, nerv mich nicht!“ Dann ist das Gespräch meistens auch schon vorbei. Keinen Schritt sind wir beide hier weitergekommen. Denn ich habe nichts von Dir erfahren, und du nichts von mir. Aber genau das will ich doch eigentlich: Mehr über Deine Motivation erfahren. Denn nur, wenn ich mehr darüber weiss, bekomme ich auch eine Ahnung davon, was Dir beim Thema „Fleisch essen“ wichtig ist. Und was nicht. Und das ist die Basis für ein Gespräch, das uns im Denken und Handeln weiterführen könnte.

Daher: Hinterfrag dich dann und wann selbst einmal, warum Du Dich für welche Lebensmittel entscheidest. Was Du Dir dabei (Gutes oder Schlechtes) gibst. Fangen wir bei uns an. Jeder einzelne. Und dann lasst uns miteinander darüber sprechen. Das führt uns alle weiter als Schwarz-Weiss-Denken. 

2 Kommentare

  1. Liebe Inga,
    vielen Dank für deinen Artikel und deine Denkanstöße!
    Ich habe mich in den letzten Monaten intensiv mit dem Leid unserer sogen. Nutztiere auseinander gesetzt, habe auf Facebook, meiner kleinen group auf groups.io und meiner eigenen Webseite dazu gepostet und alles dazu gelesen und angeschaut, was ich in diesem Zusammenhang gefunden habe. Wenn ich lese: *Artgerecht* dann fällt mir dazu nicht nur das Leben und Sterben der Nutztiere ein, sondern auch unser eigenes Verhalten: ist unser Verhalten eigentlich Artgerecht? Es scheint sich ein Trend abzuzeichnen, der mir große Hoffnung macht: immer mehr Menschen wollen Verantwortung übernehmen! Deutlich zu sehen war es im April in Brüssel, als die Petition * End the Cage Age* dem EU Parlament vorgelegt wurde! Der 1. Schritt ist immer der wichtigste, finde ich: herauszufinden, was man in seinem Leben sehen will und was man nicht gut findet! Und dass ganz viele Menschen in der EU die Käfighaltung von Nutztieren nicht gut finden, konnte man in den 3 Stunden dieser Versammlung deutlich hören und spüren! Und auch die Politik setzt Zeichen- weltweit! Neuseeland beschließt , Lebendtiertransporte einzustellen( mit einer Auslauffrist von 2 Jahren) unser oberster Gerichtshof gibt einer Klage recht, dass der Jugend eine lebenswerte Erde garantiert werden muss- der Klimaschutz muss durchgängig geplant sein und umgesetzt werden! Und last not least: US-Präsident Biden beschließt, die Reichen zu mehr Steuerabgaben zu verpflichten, um die ärmeren Bevölkerungsschichten zu unterstützen! Das sind alles großartige Ansätze in meinen Augen und ein wirklicher Ausdruck von *Artgerechtem Verhalten*- von uns Menschen, nicht wahr?!
    Vielen Dank für die wertvollen Anregungen und dass du Menschen zum Nachdenken bringst- ich bin ein echter Fan von dir, seit ich deine Website im ProVieh Magazin gefunden habe!:)
    Viele liebe Grüße,
    Eva Gomez

    • Liebe Eva

      solche Nachrichten wie die von Dir geben mir wiederum viel Hoffnung. Danke Dir vielmals.
      Und Dein Anstoss ist exakt der Richtige: WIR sind es, die alle Änderungen jeden Tag, jede Stunde, jede Sekunde und in diesem Atemzug in der Hand haben. Viel mehr, als wir so allgemein denken… Jeder, der damit beginnt, sich den anderen hin zu öffnen – Tier oder Mensch – wird für sich selber merken, dass es gut tut. Unser von der Industrie gelerntes Verhalten, alles maßlos ins uns Reinzustopfen, nicht mehr zu fragen: Ist das eigentlich NATÜRLICH – unserer Natur gemäß – was wir da tun, macht uns krank. Psychisch wie physisch.
      Der artgerechte Umgang mit uns selbst kommt langsam in unser Kultur zurück, ich stimme dir da zu. Mein Lieblingsbeispiel ist da übrigens immer wieder die Meditation: Wie viele Menschen werden krank, weil sie sich nicht mehr in den Augenblick einfinden können? Weil sie rasen, mal in die Vergangenheit, mal in die Zukunft. aber nicht mehr im Jetzt verweilen. Und dann schau dir die Tiere an: Sie sind die Könige in dieser wertvollen Disziplin des „Augenblick-Seins“. Das wäre auch ein „artgerechter“ Umgang mit uns selbst. Unweigerlich kämen wir dann zum Schluss, auch mit unseren Mitgeschöpfen achtsamer umzugehen.
      Vielleicht klingt das hier alles voll esoterisch und dergleichen, und wird von einigen stereotypisiert. Aber im Kern werden wir eben nicht darum herum kommen, die Welt, uns und unsere Mitgeschöpfe achtsamer zu betrachten. Und als erster wichtigster Schritt steht der kleine Gedanke: Für was in meinem Leben übernehme ich eigentlich Verantwortung? Und wo (noch) nicht?
      Der Konsum von Lebensmitteln erscheint uns so „nebenbei“, macht man halt. dabei haben wir in diesem Bereich wohl einen der größten Aufholbedarfe zum Thema „Achtsamkeit“ und artgerechtem Umgang mit uns und den anderen.
      Liebe Grüße
      Inga

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