Weidefunk. Wie Nutztierschutz in der Schule auf offene Ohren und positives Handeln stößt.

Tierschutz an der Schule

Wahrscheinlich wäre vieles anders gelaufen, hätte ich damals eine Lehrkraft gehabt, die „industrielle Massentierhaltung“ und „Tiertransporte“ behandelt hätte. So habe ich die Schule als einen Ort wahrgenommen, an dem Tierrechte schlicht keinen Platz haben. Das ist ca. 20 Jahre her. 

Wachsende Umsicht

Mittlerweile hat sich an den Schulen mächtig was getan: „Massentierhaltung“ wird behandelt; doch basiert dies weniger auf einer stillen Reform des Bildungswesens. Hinter dem Aufkommen solcher Themen auf dem Stundenplan stehen engagierte LehrerInnen, die es sich zum Ziel gemacht haben, zentrale Facetten einer modernen Gesellschaft zu beleuchten. Wie den Nutztierschutz.  

Sarah Albertz

Sarah ist so eine Lehrerin. Sie arbeitet an der Kreuzschule, einer Hauptschule in Coesfeld im Münsterland. Ich lernte sie über eine Mitarbeiterin von PROVIEH kennen, und durfte erfahren, in wie vielen Bereichen des Tierschutzes sich die junge Lehrerin zusammen mit ihren SchülerInnen stark macht. Wir diskutierten, inwiefern eines der brisantesten Themen vor ihrer Klasse Einzug finden kann: Die Milchindustrie. Und bastelten einen Weg: 

Von der Wegwerfware Kalb … 

Für uns beide war rasch klar, dass wir die SchülerInnen weder mit heftigen Videos und Bildern bombardieren noch mit einer Schwarz-Weiß-Entscheidung konfrontieren durften: „Go Vegan!“ oder „Sei weiter für das Leid der Kälber und ihrer Mütter verantwortlich“. Denn den Stoff für solche Gefühle und Handlungskonsequenzen gibt dieses Thema locker her:

Milch – keine harmlose weiße Flüssigkeit

Menschen trinken gigantisch viel Milch. Allein 12 Mio. Rinder gibt es in Deutschland, den Mammutanteil machen die Milchkühe mit 4,0 Mio. aus. Sie „produzieren“ gut 33 Mio. T Milch. 

Rechnung ist einfach: Was der Mensch an Milch trinken will, darf nicht in den Magen 

des Kalbs wandern. Also wird ein Großteil der Kälber direkt nach der Geburt von der Mutter getrennt. Insbesondere die Bullenkälber erleiden ein schlimmes Schicksal: ein überwältigender Teil von ihnen geht auf Schlachttransporte ins Ausland. In diese Hintergründe nahmen wir die SchülerInnen mit. Sie lernten das durchschnittliche Leben einer Milchkuh und ihres Kalbes in der Industrie kennen. 

… zur Patenschaft für eine muttergebundene Kälberaufzucht  

Doch Sarah und ich ließen die SchülerInnen nicht hier stehen. Wenn ein Problem zu groß und grausam wird, weigern sich viele Menschen, hinzuschauen. „Es ändert sich doch eh nichts!“ ist ein häufiger Glaubenssatz. Also steckten wir die Ziele kleiner. Und machten die Schritte gangbarer. Um Mut zu machen. Und in der Milchindustrie ist die muttergebundene Kälberaufzucht so ein Mut machender Mittelweg: 

  • Kälber wachsen bei ihren leiblichen Müttern auf 
  • Sie leben im Familienbund und in Freilandhaltung 
  • Ein Absäbeln ihrer Hörner bleibt ihnen erspart
  • Transporte in die ausländischen Kälberschlachthöfe werden sie nie erleben

Vorreiter-Höfe, die die muttergebundene Kälberaufzucht leben

Weidefunk besucht Höfe, die dieses Konzept leben, regelmäßig. Sie sind für uns die mutigen VordenkerInnen (viele Frauen leiten die landwirtschaftlichen Betriebe!). Doch sie gehen extreme Risiken ein: Denn in den Supermärkten ist die Milch aus dieser Aufzucht nicht ausgewiesen! Sie kriegen also keinen Cent mehr für ihre Arbeit! Kein Wunder, dass es gerade mal 80 Höfe in Deutschland gibt (von 60.000 Milchviehbetrieben!), die dieses Konzept leben. 

Betriebswirtschaftlich überleben diese Höfe auch nur, da sie Patenschaften vermitteln: Kälber-Paten bezahlen den Milch-Betrag für ein Kalb, das dieses der Mutter wegsäuft. Exakt das war der Schritt, zu dem wir die SchülerInnen motivierten: sie sollten Projekte umsetzen, um Geld zu sammeln, um sich ihr eigenes Patenkalb leisten zu können. 

SchülerInnen sanft die Augen für Nutztierschutz öffnen

Die SchülerInnen bastelten, zeichneten, löteten und backten kleine Projekte, die dann verkauft wurden. Corona stoppte uns pünktlich zum Zeitpunkt, wo es dann zum Abschluss einer Patenschaft ging. Dies wird nach dem Lockdown erfolgen und die SchülerInnen werden live erleben, welchem Tier sie ein gutes Weiterleben ermöglichen. 

Folgende Schritte waren hilfreich, um im Unterricht sanft zum Handeln anzuleiten: 

Fakten & Grundlagen mit Gefühl

Die Kids wissen heute häufig nicht, dass eine Kuh schwanger sein muss, um Milch zu erzeugen. Solche und andere Fakten werden aufgeführt, um zu sensibilisieren und aufzuklären. Das Bild- und Textmaterial wurde in einer Präsentation gesammelt und mit viel Interaktion. („Wie geht es Dir, wenn Du das siehst?“) vermittelt. 

Filme & Bilder in positiver Gewichtung 

Hier ist die Gewichtung nicht unerheblich: Nur in kurzen Sequenzen zeigten Sarah und ich negative Bilder. Einen größeren Raum nahmen Szenen ein, die zeigen, wie es positiv geht. Und wie jeder Einzelne im Kleinen unterstützen kann. 

Live-Schalten von Insidern 

Sarah und ich erfuhren es als wirkungsvoll, Live-Stimmen in den Unterricht zu nehmen. So schalteten wir Ingmar (Blogger „Hofhuhn“) und Anna mit hinzu, zwei Menschen aus der Landwirtschaft, die aus ihren Perspektiven die SchülerInnen digital-hautnah in die Ställe und auf die Weiden mitnahmen. 

Statt hilflos zuschauen, in kleinen Schritten aktiv werden 

Der für uns wichtigste Schritt: Den SchülerInnen gezielt gangbare kleine Schritte aufzeigen. Patenschaften sind hierbei nur ein Beispiel. 

Der Nutztierschutz ist voller neuer Wege und Ideen, die auf Umsetzung warten! Auch und besonders an den Schulen! 

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