Anna Butz, die stille Pionierin. Wie wir unseren Blick auf Kühe und Kälber verändern, wenn wir den sanften Weg wählen.

Eine Geschichte von der Bekanntschaft mit einer echten Milchnase und echter Hoffnung. 

Persönliche Anmerkung 

Dieser Beitrag wird ein wenig anders werden. Der weidefunk besucht stets besondere Menschen, die sich Gedanken machen, und anders handeln wollen, um Wichtiges besser zu machen. Doch die nachfolgende Geschichte handelt von einem Menschen, der mich sehr beeinflusst hat. Und dies nimmt Einfluss auf die Art zu schreiben. Ihr mögt es mir nachsehen, wenn ich an der ein oder anderen Stelle Wünsche äußere. 

Ein Hamburger Sonntagmorgen im November  

An diesem Morgen kannte ich Anna noch nicht. Ich war damals auf Geschäftsreise in Hamburg und saß in einem Hotel beim Frühstück. Das „Hamburger Abendblatt“ sollte mir dabei Gesellschaft leisten, und ich schlenderte gemächlich durch die großflächigen Seiten. 

Dann war da plötzlich das eine Bild, unterschrieben mit den Worten: „Kuscheln bis zum letzten Atemzug“. Ich wusste direkt, worum es ging: die Schlachtung von Tieren. Grund genug, dass sämtliche Neurochemie in meinem Körper hochfährt. Kühe, Schweine, Enten … alle als „Nutz“-tiere deklarierten Geschöpfe durften in meinen Augen nicht angerührt werden. 

Zu dieser Zeit verweigerte ich seit über 2 Jahrzehnten den Konsum sämtlicher tierischer Erzeugnisse. Selbst mich in ein Auto mit Echtleder zu setzen, konnte eine (zumindest innerlich ablaufende) Schimpftirade auslösen.

© Hamburger Abendblatt vom 04. November 2018

Und dann war da dieses Bild von der Frau namens Anna Butz, die vegan lebt. Und Rinder hält, die auch zur Lebensmittelproduktion bestimmt sind. Zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich: „Wenn diese Frau, die ich da gerade sehe, die Schlachtung dieses Tieres verantwortet, wird es ok sein …“ Und konnte selbst kaum glauben, was ich da gerade vor mich hindachte. 

Verstanden habe ich meine Reaktion damals in Hamburg überhaupt nicht. 

Heute schon. Im Dezember besuchten Juliane, Sarah und ich sie auf ihrem Hof in Tangstedt in Schleswig Holstein. 

Der „Eine-Frau-Betrieb“: Mit klugem Kopf gedacht, mit dem Herzen gemacht

Am sonnigen 17.12 stehen wir gegen Mittag auf einem großen Hof. Ehedem war es ein Milchviehstall, klassisch mit Spaltenböden und Liegeboxen. Dieser Betrieb wurde Anna 2016 von seinen Besitzern angeboten, die die Landwirtschaft als Milchviehbetrieb nicht weiterführen wollten. Nach einem gemeinsamen Telefonat schoss Anna viel durch den Kopf…

„Das Kopfkino ging komplett los: Aufregung, Spannung, Respekt, Hoffnung!“

Auf das große Ganzkörperzittern nach diesem ersten Gespräch musste Anna erstmal einen Whisky trinken. Das weiss sie noch, als wäre es gestern gewesen.

Doch man wurde sich einig und Anna übernahm den Hof. Bügel, Boxen, Spaltenboden – flog alles raus. Dick Stroh und automatische Scheuerbürsten kamen rein. Der ehemalige Milchviehstall wurde in zwei Riesenlaufställe mit ständigem Zugang nach draußen ummodeliert. Zusätzlich nennt Anna 50 Hektar Weideland ihr Eigen.

Gut 140 Tiere hält die 47-jährige hier heute; natürlich bleiben die Kälbchen bei ihrer Mutter, die Enthornung findet nur in gesundheitlich notwendigen Situationen statt. Vor allem aber eine wertvolle Ruhe genießen die Tiere. Einzig Anna tummelt sich hier bis zu vier Stunden täglich, um zu arbeiten, zu kraulen, acht zu geben, ob mit ihren Tieren alles okay ist. Sie macht alles alleine, es ist ein echter Ein-Frau-Betrieb. 

Anna ist ein Arbeitstier. Hauptberuflich verwaltet und vermietet sie Industrieanlagen. Und im Vollerwerb managed sie diesen Hof. Sie ist mitnichten Landwirtin aus Kinderjahren; sondern hat sich alles selbst beigebracht: Umbauten, Fütterung, Weidemanagement, Hygiene, Geburten & Co. – die gelernte Tierarzthelferin und Betriebswirtin scheut keine neuen Arbeitsfelder. 

Und sie kann zum Glück: smart vermarkten. Anna versammelt zahlreiche Stammkunden um sich und ihre Idee. Nach Versand des Newsletters haben die Menschen, die bzgl. ihres Fleischverzehrs zum Nachdenken gekommen sind, nach höchstens 20 Minuten alles abgekauft, was aus der sorgfältig-handwerklichen Verarbeitung eines ganzen Rindes entstehen kann. 

Der faire Deal: „Ein Tier muss im Monat gehen, damit es den Anderen gut geht“

Einmal im Monat nimmt sie ein Tier mit auf den Hänger, und fährt mit ihm zum nahegelegenen Schlachtbetrieb. Lebend ausgeladen wird es dort nicht, sondern bekommt was zu schmausen. Der Schlachter kommt in den Hänger, und tötet das Tier, noch während es isst und seine vertraute menschliche Chefin um sich hat. 

„Ich lasse sie nicht alleine 
auf ihrem letzten Weg.“ 

Leicht fällt das Anna nicht. Sprich mit ihr darüber und schau sie an, dann weißt Du das sicher. Aber sie muss es machen, damit die anderen versorgt werden können. 

Bald jedoch soll auch der kurze Transport wegfallen. Dazu wird derzeit auf dem Butz’schen Betrieb ein eigener EU-Schlachtraum gebaut. Weideschuss bekommt sie gesetzlich nicht durch. Ein inneres Kopfschütteln kann einen da nur immer wieder begleiten, warum diese Art der Tötung in Deutschland nicht endlich vereinfacht wird. 

So muss eine echte Milchnase aussehen! 

Alle Wiederkäuer auf Annas Hof haben einen Namen, und alle hören sie darauf. Das hat nichts mit Vermenschlichung zu tun. Sondern mit Menschlichkeit den Tieren gegenüber. 

Anna ist sehr ruhig, was ihre Tiere spiegeln. Als ich mit ihr in einem der Laufställe stehe, mausert sich eine Mutterkuh beharrlich an Anna heran. „Mia will immer auf den Arm“ schmunzelt sie. „Sie bleibt auf diesem Hof, bis sie nicht mehr kann oder nicht mehr will.“ 

Direkt neben uns saugt ein Kalb am Euter seiner Mutter – ein viel zu seltener Anblick, der hier bei Anna selbstverständlich ist. Nach dem Saugen schaut uns das Kalb keck an. Anna schaut zurück, und ist entzückt: „Seht Ihr?! So muss eine Nase nach dem Trinken aussehen!“ 

Nicht bis zum letzten Tropfen gemolken

„Wenn man sich eine Nahrungskette so anschaut, ist Fleisch essen erstmal in Ordnung.“

Anna lebt seit 35 Jahren vegetarisch, auf die vegane Lebensweise ist die Landwirtin seit ca. 13 Jahren umgestiegen. Fleischessen empfindet sie noch als natürlich. Doch dem Milchkonsum, dem kann Anna nichts mehr abgewinnen. 

Anna in ihrem Element, und wir durften sie ein paar Stunden begleiten

Wer den Preis für einen Wellensittich kennt, weiss auch, wieviel heute ein Kalb auf dem Markt „wert“ ist. Dieser Umstand ist für Anna kaum zu ertragen. Die Milchindustrie lebt heute noch munter im Schatten der Fleischindustrie. Die wenigsten Menschen wissen, was es für die Muttertiere und Kälbchen bedeutet, die Milliarden Hektoliter an Milch zu produzieren. Genauso wie Fleisch, wurde auch Milch zu einem „Füllmaterial“. Anna ereifert sich, zu Recht: 

„In jedem Kartoffelchip ist Milchpulver drin! Warum zum Teufel?“ 

„Weißt Du, Inga, bei mir zahlen die Kühe auch mit ihrem Leben, aber sie haben bis dahin nicht unzählige Male ein Kind verloren, sie wuchsen miteinander auf. Und sie wurden nicht gemolken bis zum letzten Tropfen.“ 

Anna neben einem ausgewachsenen Bullen, der in den allermeisten Fällen gar nicht erst diese Größe erreicht, da er „aussortiert“ wird

Die stille Pionierin. Oder: Wie ein sanfter Mittelweg aussehen kann

„Das hier ist meine Familie, 
hier bin ich glücklich.“ 

Wenn Du etwas ändern willst, was übermächtig erscheint, dann ist das Setzen von großen Zielen nicht immer klug. Versuch z. B. die Regeln der Industrie in der Massentierhaltung zu ändern: Das ist ein überdimensionales Ziel und, nun, was soll ich sagen? Da kannst Du nur verzweifeln. Ich weiss es aus eigener Erfahrung. Und dann kannst Du Menschen anpöbeln, die dieses System durch ihren Einkauf täglich unterstützen, weil Du so verzweifelt bist. 

Oder aber Du zeigst, dass es einen Weg gibt, der das eine tut: Fleisch produzieren. Ohne das andere zu lassen: Herz und Menschlichkeit Tieren gegenüber einsetzen und behalten. 

Dieses Handeln von Anna war es, was mich damals an diesem Artikel im Hamburger Abendblatt so derart mitgenommen hat. Ich las und sah derartiges zum ersten Mal. Anders als alle bunten Marketingbilder und geistlosen Abbildungen von vermeintlich glücklichen Tieren auf Verpackungen sah ich eine Frau, die durch und durch Glaubwürdigkeit ausstrahlte. 

Obwohl ich sie nicht kannte, vertraute ich ihr damals, dass der von ihr eingeschlagene Mittelweg, Fleisch zu produzieren, ein guter Weg ist. Man kann auch sagen: Anna bewirtschaftet einen Betrieb, der vor der Realität eben nicht zurückscheut, sondern diese Realität jeden Tag zu verändern versucht. 

Ich will damit folgendes sagen: Dass Anna ihre eigenen Produkte nicht isst, geht nur sie etwas an. Denn durch ihr Handeln schadet sie keinem. Im Gegenteil: sie toleriert den Fleischkonsum der Menschen, und macht diesen Menschen sogar ein ethisch vertretbares Angebot. 

Für mich ist das echte Pionierarbeit. Sie lässt das Schimpfen. Denn alles Beschimpfen, was richtig oder falsch ist an dieser oder jener Ernährung, nimmt uns doch Kraft und Raum, endlich Wege zu bauen. Wer hat denn jemals schon einen Menschen durch Schimpfen – oder gar durch Diffamieren und Schlimmerem – zu einer echten Verhaltensänderung gebracht? 

Ich kenne keinen einzigen Fall. 

Es geht hier um Wichtigeres als um Meinungen. Es geht um das Leben von Tieren. Wie sie leben dürfen. 

Und es liegt an uns, ob Anna und viele weitere Menschen (darunter erfreulich viele starke Frauen) Wege für diejenigen bauen können, die das eine tun wollen (Fleisch essen), ohne das andere zu lassen (Menschlichkeit in die „Nutz“-Tierhaltung zurückbringen). Auf meine Frage, was Anna das alles hier mit ihren Tieren bedeutet, antwortet sie: „Das hier ist meine Familie, hier bin ich glücklich.“ 

Anna und ihre kleine Familie. Mehr schöne Filme gibt es im Videotagebuch.

Also. Wir alle sind jetzt am Zug. Unterstützt bitte Menschen und Betriebe, die wie Anna neue Wege bauen, die im Sinne des Guten sind. Denn es geht nicht darum, dass wir alle einer Meinung sind. Sondern dass wir endlich gemeinsam die Situationen vieler Millionen („Nutz“-) Tiere verändern. Und so lange Menschen Fleisch essen wollen, bedeutet Anna für mich: Pionierin. 

Woher kannst Du Deine Milch beziehen?

  • Achte bitte zunehmend darauf, ob die Anbieter auf eine muttergebundene Kälberaufzucht achten. dies machen bspw. die De Ökomelkburen und ein entsprechendes Siegel dafür haben Demeter und PROVIEH e.V. entwickelt.
  • Ansonsten bitte auf jeden Fall schon mal darauf achten, nur Milch mit Klassifikationen wie Weidemilch o.ä. zu kaufen. Hier meine persönliche Orientierung, wenn es eben wirklich mal schnell gehen muss.

Du willst Kontakt zu Anna aufnehmen?

Anna Butz 
Ehlersberger Weg 52
22889 Tangstedt
URL: www.alster­wagyus.de 

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    4 Kommentare

    1. Ein schöner Artikel, danke!
      Ich züchte Original Allgäuer Braunvieh hier in SH und wünsche mir auch nichts sehnlicher als den Weideschuss ohne die unfassbaren behördlichen Auflagen … einen eigenen Schlachthof kann ich mir im Gegensatz zu Anna leider nicht leisten, habe aber zum Glück einen vertrauenswürdigen Schlachter.

      • Liebe Monimarie

        danke Dir! Wir alle müssen hoffen und uns dafür einsetzen, dass der Weideschuss zu einer echten Alternative wird! Die Menschen sehen hinter den dicken Mauern nicht, wie sehr die Tiere in der Industrialisierung leiden. Solcherart Methoden machen die Tierhaltung wieder zu etwas Ehrbarem und Vertretbarem! Liebe Grüße, Deine Weidefunker

    2. Danke für diesen Artikel
      Ich bin Fleischesser mit Laib und Seele.
      Aber ich wäre auch der Erste, der Wiesenhof und Tönnies dicht machen würde, wenn es in meiner Macht liegt.
      Und es liegt in meiner Macht. Hier. Jetzt. Immer.
      Tierschutz. Tierwohl. Tiernutz.
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      • Lieber Bert, vielen vielen Dank! Das trifft es auf den Punkt – besser kann man es nicht sagen. Liebe Grüße, Inga

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