Entspannter Vegetarismus. Oder warum es immer wichtiger wird, sich mit der Herkunft von Fleisch und Milch ehrlich auseinanderzusetzen.

Der Fall „Schnabel“ – Ein Gedankenexperiment für ehrlich Engagierte

Vor mir steht Schnabel. Schnabel ist noch jung, hat aber, ich würde es zumindest behaupten, glücklich in seiner Herde gelebt und sein kurzes Leben auf der Weide verbracht. Doch nun ist es soweit. Die Uhr tickt. Lammfleisch ist begehrt. Außerdem muss er als junger Bock raus aus der Herde. Also steht Schnabel vor mir und ich bin diejenige, die es tun soll. Schnabel hatte ein kurzes, aber gutes Leben. Wenn ich es nicht mache, macht es wer anders. Solche Gedanken gehen mir durch den Kopf. Und trotzdem. Schnabel steht vor mir, guckt mich an. Ich kann es einfach nicht… 

Klingt unrealistisch? Ist es vielleicht auch. Schließlich hat das Ganze nur in meinem Kopf stattgefunden. Im wahren Leben bin ich nicht einmal in die Nähe einer solchen Situation gekommen. Und trotzdem ist das für mich mein ganz persönlicher Grund, auf Fleisch zu verzichten. 

Kein einschneidendes Erlebnis, das meine Welt auf den Kopf gestellt hat

Ich kann mich noch gut daran erinnern, an die leckeren Frikadellen von meiner Mutter oder die leckere Mettwurst zu der Linsensuppe. Einfach vorzüglich! Als Kind und Jugendliche habe ich sehr gerne Fleisch gegessen. Und das Ganze auch nie hinterfragt. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass ich Stadtkind bin. Hunde, Pferde etc. fand ich schließlich schon immer toll. Auf jeden Fall war Fleisch essen normal und ich habe mir einfach keinerlei Gedanken gemacht. 

Heute werde ich oft gefragt, seit wann ich auf Fleisch verzichte. Ich kann darauf gar keine genaue Antwort geben. Es war ein schleichender Prozess. Nach dem Abi ging es für mich zunächst für das Studium nach Oldenburg. Fleisch gekauft habe ich seitdem eigentlich nie. Ich bin aber auch nicht die große Köchin, also ging es meistens in die Mensa – auch hier mit Fleisch. Nach weiteren Zwischenstationen bin ich dann vor acht Jahren in Münster gelandet. Und hier ging es dann irgendwann los, das mit dem Gedanken machen. Warum? Das weiß ich bis heute nicht so genau. Wie gesagt, mit einem einschneidenden Erlebnis, das meine Welt auf dem Kopf gestellt hat, kann ich nicht auftrumpfen. Aber die Gedanken wurden immer mehr und haben irgendwann die Oberhand gewonnen. Und so habe ich beschlossen, auf das Fleisch essen zu verzichten.  

Menschen zum Vegetarier machen

Ich würde mich immer als „entspannten Vegetarier“ bezeichnen. Denn ich hatte eigentlich selten das Gefühl, ich müsste auf die Barrikaden gehen und andere Menschen bekehren. Genauso nervt es mich aber auch, wenn andere Menschen meine Entscheidung nicht akzeptieren und mir beweisen müssen, dass ich gar kein richtiger Vegetarier bin. „Trinkst du denn dann Wein?“  – solche und ähnliche Fragen wurden mir oft gestellt. Nervig! Denn ich habe ja nie behauptet, dadurch besser zu sein als andere. Es gibt vielmehr noch so viel, wo ich mir an die eigene Nase packen muss. Schaffe ich es, auf Käse zu verzichten? Nein, nicht ganz. Dabei ist die Milchindustrie furchtbar. Aber ich habe meinen Konsum stark zurückgefahren. Auch das ein Prozess.

Schwarz-Weiß-Denken braucht Farbe

Apropos auf die Barrikaden gehen… Bei den Bildern, die man sieht (und ja, mehr als Bilder habe ich auch nie gesehen, aber das reicht schon) packt auch mich schon die Wut und ich könnte losschreien. Wie können Menschen ein solches Leid zulassen? Und wenn dann noch jemand mit der Begründung kommt, es seien doch nur Nutztiere, könnte ich ausrasten. Tue ich auch. Aber innerlich. Denn ich möchte die bestehenden Gegensätze nicht befeuern. Nicht ein Schwarz-Weiß-Denken fördern. So funktioniert das nicht. Dazu gibt es viel zu viele Grautöne dazwischen. Und so funktioniert auch der Mensch nicht. Würde es funktionieren, müssten wir dann nicht in einer besseren Welt leben?

Warum ich Weidefunkerin geworden bin

Ich möchte also nicht urteilen, das ist gut oder das ist schlecht. Also ist für mich auch Fleisch essen okay! Aber achtet doch bitte darauf, wo das Fleisch herkommt. Seid euch bewusst, dass das ein Lebewesen ist vor euch auf dem Teller. Seid euch bewusst, welcher Prozess dahintersteckt. Welche Arbeit und welche Menschen. Zeigt den Lebewesen und den Menschen euren Respekt, in dem ihr euch mit der Herkunft des Fleisches beschäftigt. 

Das ist mein ehrlicher Wunsch: Mehr Menschen dazu zu bringen, sich mit der Herkunft ihres Fleisches auseinander zu setzen!

Und dabei hilft es nicht, den Zeigefinger zu heben. Vielmehr helfen konstruktive Diskussionen und gute Beispiele, die den Menschen, die sich auf ihrem Betrieb bereits für eine tiergerechte Haltung einsetzen, ein Gesicht geben. Und genau dafür steht Weidefunk. 

2 Kommentare

    • Vielen Dank, liebe Ute! Ja, Lioba trifft hier wirklich einen zukunftsfähigen Zeitnerv. Weniger Lagerbildung, mehr zwischenmenschlicher Austausch über reale (Lebens- ) Bedingungen für Tiere und Menschen. Liebe Grüße aus Münster, Inga

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