Herkunft von Fleisch: Guter Wille, wenig Wissen
Wenn der Markt sich Richtung Tierschutz und Tierwohl bewegt, ist das immer begrüssenswert. Nur sollte hinter Label, Marken, Standards & Co. keine Luftnummer stecken. Viele Verbraucher:innen sind irritiert – denn eine wahre Flut an Labels hat in nur wenigen Jahren den Fleischproduktmarkt gestürmt.
Laut einer Umfrage im Fleischatlas der Heinrich Böll Stiftung ist bei vielen Verbraucher:innen der gute Wille da, besseres Fleisch aus einer artgerechteren Haltung zu kaufen. Nur beim Wissen, woher man es bekommt und erst recht: woran man gutes Fleisch erkennt, hapert es gewaltig.
Discounter bekommen diese Wissenskluft mit und wollen sie füllen. Auf welchen Wegen, schauen wir uns folgend an.
Was bei Eiern klappt, sollte doch auch bei Fleisch nicht so schwierig sein
Was bei Eiern geklappt hat, sollte doch bei Fleisch wiederholbar sein? Das dachten sich die großen Unternehmen aus dem Lebensmitteleinzehlhandel (LEH) und bastelten zunächst jeder für sich seine Labels, um Transparenz zur Haltung und zum Umgang mit den Tieren herzustellen.
2019: Und jetzt alle zusammen
Wie unschwer zu erkennen ist, ähneln sich die unterschiedlichen Labels doch auffallend. Plausibel war da der Schritt, sich zusammenzutun. Im April 2019 taten sich folgende Lebensmittelunternehmen zusammen:
Diese einheitliche Haltungskennzeichnung von Fleisch unter dem Begriff „Haltungsform“ soll Verbrauchern in den entsprechenden Supermärkten schnell und einfach zeigen, wie die Tiere gehalten worden sind.
Stufe 1 verweist auf den gesetzlichen Mindeststandard.Wer sich für den interessiert, hier ist er:
Stufe 2 bedeutet 10 Prozent mehr Platz und Spielmöglichkeiten für das Nutztier.
Stufe 3 garantiert Tieren noch mehr Platz und Frischluft-Kontakt.
Bei Stufe 4 („Premium“) haben die Tiere Auslaufmöglichkeiten im Freien. Auch Biofleisch soll in diese Stufe eingeordnet werden.
Gutes und Schlechtes. Und Gutes
Generell ist es wünschenswert, dass der Markt das Bedürfnis nach Transparenz und mehr Tierwohl hört und dem nachgeht. „Der Staat hat nicht gehandelt, jetzt haben das die Discounter übernommen“, so Gerald Wehde, der Sprecher von Bioland, in Bezug auf die fehlende Entscheidungsfreude vom Staat.
Doch sowohl Bioland als auch Foodwatch finden gleichfalls große Kritikpunkt an der Vorgehensweise der Discounter. Zu den wesentlichen gehören:
Zu viel Stufe 1 und damit geringer Mindeststandard
FooWie Alexander Hinrichs, Geschäftsführer der Initiative Tierwohl, gegenüber dem ZDF erklärt, werden die Stufen 2, 3 und 4 voraussichtlich eine Marktabdeckung von ein bis zwei Prozent haben. Und Foodwatch führt dazu aus, dass Verbraucher demzufolge „fast ausschließlich Fleisch der Stufe 1 im Supermarkt finden werden – also Fleisch, das die (ohnehin unzureichenden) gesetzlichen Mindestanforderungen erfüllt.“
Tiergesundheit nicht im Fokus
Jedes vierte tierische Produkt stammt laut Foodwatch von einem kranken Tier: Von Lungenentzündungen, Leberveränderungen oder schmerzhaft verdickten Gelenken bis hin zu Euterentzündungen und Klauenerkrankungen bei Kühen sowie Knochenbrüchen. Ihr Fleisch gelangt dennoch in den Handel. Und das neue Label macht solcherart Umstände nicht transparent.
Matthias Wolfschmidt von foodwatch bringt es auf den Punkt: „Die neue Fleischkennzeichnung gaukelt den Verbraucherinnen und Verbrauchern vor, sie könnten mit ihrem Einkauf die Zustände in den Nutztierställen maßgeblich verbessern. Die Gesundheit der Nutztiere spielt aber bei der Tierwohlkennzeichnung von Aldi, Rewe & Co. überhaupt keine Rolle – das ist eine große Irreführung.“
Zu dichter Labelwald mit ökonomischen Interessen
Zur Zeit arbeitet wohl so gut wie jeder Supermarkt an neuen Kennzeichnungen. Den Konsumenten verwirrt es mehr als dass es nutzt, so scheint es. Die Antworten der Verbraucher im Fleischatlas sprechen dazu Bände (siehe oben). Würden all diese Labels deutlich mehr Druck in Richtung Tierschutz und Tierwohl bedeuten, würde auch die Flut an Labels nicht schaden. Doch der Anteil derjenigen Labels, hinter denen in erster Linie ökonomische Interessen stehen (z. B. mehr verkaufen durch Anschein des Tierwohl wahren), ist derzeit zu hoch.
Discounter go Bio
Doch es gibt sich einen deutlich „grünen Trend“ bei den Discountern: Nicht nur Aldi steht voll auf Bio und strebt sogar an, „Bio-Marktführer zu werden„. Aldi, Lidl, Netto, Penny & Co.bieten inzwischen Eigenmarkenprodukte in Bio-Qualität an. Bei Lidl gibt es inzwischen sogar Produkte mit Bioland-Siegel. Dies ist eigentlich erfreulich, denn Discounter sind das große Tor zu einkaufenden Massenbevölkerung:
Doch muss auch hier wieder die schärfere Lupe rausgepackt werden. Die Einkaufs- und Preispolitik der Lebensmitteldiscounter ist und bleibt problematisch. Billiger ist und bleibt das Hauptmarkenversprechen der Discounter. Das kann überhaupt nicht klar gehen mit einem ökologisch und vor allem tiergerechten landwirtschaftlichen konsequenten Verhalten. Immer mehr Bio, immer mehr billig? Da passt was nicht.
In einer Sendung von Plus Minus in der ARD haben die Kolleg:innen folgende Merkmale von Bio-Produkten der Discounter identifiziert:
Preis im Discounter ist deutlich niedriger
Die Produkte im Discounter kosten spürbar weniger, teils sogar weniger als die Hälfte als im Supermarkt.
Unterschiedliche Standards je nach Siegel
Die Discounter schreiben zwar Mindeststandards vor, doch sind diese nicht immer alle gleich. Plus Minus berichtet von Bio-Bauer Bernd Schmitz: Schmitzb „beachtet freiwillig viel strengere Vorschriften als er müsste, um seine Milch als „Bio“ verkaufen zu dürfen. Bei ihm wachsen die Kälber bei der Mutter auf und er verzichtet auf das schmerzhafte Enthornen seiner Rinder. Das Futter ist Bio, es stammt vom eigenen Hof und besteht im Sommer aus frischem Gras statt aus konserviertem Futter.“
Keine Enthornung ist charakteristisch für Demeter-Bauern und Bäuerinnen.
Strengere Regeln bei Biomarkt-Produkten
Für die Siegel-Erteilung des Discounters sind 230 Hennen pro Hektar erlaubt. Bei Demeter und Bioland sind es nur 140. Diese Siegel verlangen zudem, dass Hennen Auslauf im Grünen haben und sich verstecken können. Das EU-Bio-Siegel erlaubt das schmerzhafte Beschneiden der Schnäbel, bei Bioland und Demeter ist das verboten.
Fazit der Plus Minus-Redaktion: Einen hohen artgerechten Standard bei Legehennen garantieren nur Eier mit Bioland oder Demeter-Siegel, die es bei den Discountern aber nicht zu kaufen gibt.
Gesundheitlich „deutlich Luft nach oben“
Plus Minus fragte auch nach dem Gesundheits-Faktor der Bio-Discount-Produkte und Ernährungsmediziner Dr. Matthias Riedl dazu befragt. Seine Einschätzung: „Ich erwarte bei Bio-Produkten, dass die Hersteller die Gesundheit von Menschen und Tieren gleichermaßen im Fokus haben. Das gilt für die Bio-Siegel der Discounter nur zum Teil. Da ist noch deutlich Luft nach oben“.
Discounter-Produkte sind stärker behandelt
Natriumnitrit gehört nach den Bestimmungen des EU-Bio-Siegels zu den 53 erlaubten Zusatzstoffen. Die beiden Bio-Verbände Demeter und Bioland verbieten dieses als Konservierungsstoff.Auch ernährungsmedizinisch scheint Bio also nicht gleich Bio zu sein, so das Fazit der Redaktion. Den Ernährungsmediziner danach befragt, äußert dieser seine Befürchtung darin, „dass die Bio-Produkte in den Discountern die Biofachmärkte irgendwann verdrängen, weil der Verbraucher die Unterschiede zwischen diesen einzelnen Bio-Siegeln nicht kennt.“
Dabei stecken hier die Qualitätsunterschiede: „Die Biosiegel in den Biofachläden sind High-End-Produkte, die ihr Geld auch wert sind“, so der Experte.
„Wer wirklich Bio haben will, kommt beim Discounter nicht weit“
So die Meinung der Diplom Ökotrophologin Kathi Dittrich. Bio zu Dumpingpreisen schadet Umwelt, Landwirt:innen, Tiere und nicht zuletzt auch die Verbraucher:innen. Lest hier ihren ganzen lesenswerten Beitrag.
Da sind wir wieder – bei der Aufklärung der Verbraucher:innen, die irgendwann nicht mehr nur passiv erfolgen sollte im Sinne einer pädagogischen Aufklärung. Sondern wünschenswert wäre die aktive interessierte Teilnahme eines jeden Verbrauchers und einer jeden Verbraucherin am gesellschaftlichen Diskurs: „Was bedeutet artgerecht? Wann sind Fleisch, Milch & Co. wirklich gesunde Lebensmittel?“