Fleisch- und Milchkonsum als Lebensthema
Das ist wahr … Kaum etwas hat mich in meinem Leben so nachhaltig beschäftigt, bewegt und hat mir so weh getan wie die Frage und ihre Konsequenzen: Dürfen Menschen Tiere zur Lebensmittelgewinnung halten und töten?
Lange lautete meine Antwort darauf: Nein! Sowas von klar: N-E-I-N!
Seit einigen Jahren habe ich dieser Antwort eine zweite, komplexere hinzugestellt – sie lautet: Solange Menschen auf tierische Erzeugnisse nicht verzichten können oder wollen, ist es unter bestimmten Bedingungen für mich vertretbar, dass Tiere zur Lebensmittelgewinnung gehalten und getötet werden.
Meine neue Argumentation hat mich in eine Abhängigkeit gebracht: Zu Menschen, denen ich tief vertraue, wenn sie Tiere halten und diese Tiere töten (lassen). Nehmt diese „Abhängigkeit“ nicht negativ, bitte. Ich bin dankbar für sie. Sie lässt mich Menschen begegnen und mit ihnen Gespräche führen, die ich ohne diese Abhängigkeit nicht erlebt hätte. Einer von ihnen ist Mark Junglas.
Über die, die Tiere töten
Mark wurde den meisten bekannt als Berufsjäger, der mit Ralph Caspars von Quarks & Co auf die Jagd geht und Menschen zeigt: Wenn ihr Fleisch essen wollt, liebe Leute, dann schaut bitte auch zum Tod.
Anderen wurde er bekannt als Metzger, der tote Tiere hinter der Theke seiner ehemaligen gläsernen Metzgerei „Lappen & Prengel“ bewusst zeigte, um zu demonstrieren: Die Mortadella wächst verdammt noch mal nicht auf dem Baum!
Mark tötet Tiere. Und ich bin ihm dankbar dafür. Denn solange er es tut, wird es so ablaufen, dass wir hinschauen können. Und nicht vor Entsetzen nur noch Wegschalten, wenn das Grauen, das die Industrie verschweigen will, dann doch mal verdeckt mitgefilmt wurde.
Ich sprach Mark zum ersten Mal im Freundesumfeld, es dürfte ca. eineinhalb Jahre her sein. Seit August dieses Jahres hat er sein berufliches Standbein auf dem Hofgut Stöcken, mitten im tiefen Siegerland. Auf diesem landwirtschaftlichen Betrieb baut er ein Mammutprojekt auf. Ich besuchte Mark zusammen mit den Weidefunkerinnen und erzähl gleich davon. Aber vorab, erlaub mir eine Frage an Dich:
Hinter den Kulissen von Fleisch und Milch: Willst Du es wirklich sehen?
Fleisch essen hat ja so wenig mit Töten zu tun. Dies scheint zumindest im Kopf der meisten VerbraucherInnen so drin zu sein. Nach meinem Dafürhalten trägt dafür die Werbesprache einen Gutteil der Verantwortung: Im Supermarkt säuselt uns jede Fleisch- und Milchproduktverpackung an:
„Heeeyyyy… alles cool… das hier kannst Du mit bestem Gewissen kaufen!“
Und – willst Du wirklich mal hinter die Kulissen schauen? Wenn ja, dann lernst in der Industrietierhaltung normalerweise die Image-Website der großen Produzenten kennen, da kannst du dann mit einer Call-Center-Mitarbeiterin über Compliance und Tierwohl sprechen. Wer sich das mal angetan hat, mag sich gerne bei mir melden – geteiltes Leid ist ja bekanntlich halbes Leid.
Es ist unfassbar, was da an „Tierwohl“ und „guter Landwirtschaft“ versprochen – und am Ende gehalten wird. Nach meiner Erfahrung steckt in der Tierindustrie soviel Verbrauchertäuschung, wie kaum in einem anderen Konsumgüterbereich.
Und dann gibt es die, die eine maximale Transparenz leben – in der Tierhaltung, sogar bis hin zur Tötung. Und dies auch kommunizieren. Mark ist so ein Mensch.
Hofgut Stöcken: Kein Tier wird von hier zum Schlachthof transportiert
„Das hier ist ein Stück heile Welt. Davon habe ich immer geträumt.“
Mark
Juliane, Lioba, Jeanette und ich fahren sonntagfrüh los, Richtung Siegerland (Danke an alle, die mich auf Instagram aufklärten, dass wir NICHT ins Sauerland fahren (-:).
Das Hofgut Stöcken liegt abgelegen inmitten von riesigen Wiesen und Wäldern. Ich freue mich beim Aussteigen so sehr, Esther, die Frau von Mark, und ihn selbst wiederzusehen. Direkt beginnen wir mit der Führung der imposanten Anlage, die sich durch etwas Besonderes auszeichnet – weswegen Mark auch genau hier ist:
Die gesamte Wertschöpfungskette der Fleischproduktion wurde auf einen einzigen Betrieb gelegt: Aufzucht in Mutterkuhhaltung, Sterben, Verarbeitung, Vermarktung. Kurz gesagt: Kein Tier wird von hier jemals auf einen Transporter und in einen anonymen Schlachthof gehen.
„Das hier ist echt ein Stück heile Welt. Davon habe ich immer geträumt.“ Erzählt Mark mir, während die Mädels beeindruckt durch die immens großen Laufställe tapern. 130 Aubrac Rinder hat das Hofgut, die meisten Zeit stehen die Tiere draußen auf den Weiden. 75 Hektar stehen dazu zur Verfügung: „Ich habe es mal ausgerechnet: Jedes Rind hat 5800 qm Platz.“ sinniert Mark. Nur in extremen Regenzeiten werden sie eingestallt.
Der Betrieb steht ganz am Anfang. Fünf Angestellte sind es insgesamt und damit mehr ein Unternehmen, als ein klassischer Familienbetrieb, wie wir sie normalerweise besuchen. Mark wird auf dem Hofgut Stöcken dafür sorgen, dass Fleisch- und Fleischprodukte in Bio-zertifizierter Qualität produziert und online vermarktet werden. Natürlich nach from Nose to Tail-Verarbeitung.
Dazu verfügt der Hof über eine hochmoderne Metzgerei – denn das Konzept vom Hofgut Stöcken sieht neben Fleischpaketen vor, spürbare Verbraucher-Bedürfnisse zu bedienen: Chili, Curry, Bolognese, Suppen – alles, was das Herz der guten, aber eben auch schnellen und bequemen Küche begehrt.
Ok. Den Begriff „Metzgerei“ nehmen noch viele mit Leichtigkeit in den Mund. Gehen wir eine Station weiter: Wie sieht es mit dem Wort „Schlachthaus“ aus?
In unter einer Minute
„Die Tiere werden direkt vom Fressen ins Jenseits befördert!“
Mark
Wir gehen zuerst an dem Gebäude vorbei, an dem bald die Metzgerei eröffnet wird und erkennen schon von weitem die mobile Schlachtbox. Es ist den Jungs von SMA („Schlachtung mit Achtung“) zu verdanken, dass in Deutschland eine mobile Schlachtbox verfügbar ist, die von den Veterinärämtern abgesegnet wird. Hier auf dem Hofgut Stöcken steht einer der ersten von ihnen. Ich bin total beeindruckt:
„In unter einer Minute ist alles vorbei: Die Tiere werden sozusagen direkt vom Fressen ins Jenseits befördert. Kein Tier verlässt hier mehr lebend den Hof.“ erzählt Mark. Was sich brutal anhört, ist das Beste, was derzeit in der Fleischproduktion geschehen kann: Keine elend langen Transporte! Kein anonymer Schlachthof mit dicken Mauern!
„Die Anlagen von SMA sind die ersten, die offiziell die Genehmigung vom Veterinäramt bekommen!“ erzählt Mark begeistert. Nach 60 Sekunden muss das Tier nach der Tötung entblutet werden, das ist Bedingung der Veterinärbehörden. Die ganze SMA-Anlage ist perfekt durchdacht. Auch wenn es mir – und ich glaube, den anderen Mädels ebenso – einen Schauer über den Rücken jagt, schauen wir in die Schlachtbox.
Ja. wir müssen das Töten transparent machen, da gibt es nichts mehr schön zu reden.
Auf Instagram läuft nackte Haut immer noch besser als Fleisch
„Ich bin halt leichter zu treffen.“
Mark
Marks Frau Esther ist eine zurückhaltende Person, ebenso sensibel eingestellt, was Fleischkonsum anbelangt. Sie isst mittlerweile nur noch das, was von Mark mitgebracht wird. „Ich kann das auch ertragen, dass ein Tier stirbt, wenn ich sicher weiss: Es hat wirklich gut gelebt!“ Da ist er wieder, der Kompromiss, den wir dringend brauchen.
Ich muss ehrlich sein: Ich kann vielleicht einen Kompromiss gutheißen, kann sagen: „Ok, ich akzeptiere den Tod von Tieren, wenn sie ehrlich gut bei Menschen aufwachsen und am besten bei ihnen auch sterben durften. Aber könnte ich sie töten?
Nein. Das könnte ich nur im illusorischen Extremfall des Verhungerns oder ähnlicher Notlage.
Mark dagegen spricht aus, was er denkt, und wichtiger noch: er handelt danach. Das ruft „Hater“ auf den Plan, Mark wurde durch seine Medienpräsenz und seine kantige Meinung angreifbar. Vielleicht wäre ich damals auch so jemand gewesen, der zu ihm sagt: „Du hältst Tiere, Du tötest Tiere. Geh weg!“
Hätte ich das getan, würde ich mich heute für meine damaligen Worte ehrlich schämen.
„Ich bin halt leichter zu treffen als z. B. ein Tönnies oder ein Reinert.“ Ja. Und ich frage mich: Wann werden wir in unserer Gesprächskultur endlich gelernt haben, dass Hass vor allem ein Medien- und Quotentreiber ist. Aber mit der tatkräftigen Veränderung unserer Realität und unseren Herausforderungen nichts zu tun hat?
„Na, Instagram tickt auch so, dass viele verrückte Dinge besser laufen als das Thema, auf Fleisch aus ehrlich guter Herkunft hinzuweisen!“ ärgert sich Mark über die Mechanismen in den sozialen Medien.
Wohl wahr. Bis heute kriegst du für einen einmalig passend hingelegten Striptease und einigen peinlichen Nachwirkungsaktionen schnell 120.000 Follower. Versuch das mal mit Themen, die die Welt besser machen (könnten).
„Weißt Du, Inga, der ganze Hass im Internet. Das Totdiskutieren! Da denke ich mir: Macht doch mal was selber! Macht es selbst mal, anstatt sich auf dem Sofa Kaufland Produkte rein zu pfeifen und Andere anzupöbeln.“
Mark
Zurück zur Abhängigkeit
Nein, ich übertreibe nicht: Ich empfinde es als ein Geschenk für diese Welt, dass es Menschen wie Mark gibt. Der sich hinstellt, und das zeigt, was Zeigenswert sein muss, wenn wir alle dahinterstehen wollen. Je weniger aus „hinter den Kulissen der Fleisch- und Milchindustrie“ gezeigt wird, desto brutaler wird es dort zugehen. Absurderweise prangt dann noch eine Logo mit einem lachenden Schwein, einer lächelnden Kuh und einem Ochsen mit einem Herzen als Schwanz über dem Schlachthaus. Ihr wisst schon, wen ich meine.
Menschen wie Mark sorgen dafür, dass ich meine damalige Antwort auf den Fleisch- und Milchkonsum anreichern durfte. Um Inhalte, die mehr bewegen als ein kategorisches „Nein!“. Die wirklich etwas machen, ja erreichen können.
Ich danke Dir, Mark, dass Du diese Wege öffnest. Ohne Menschen wie Dir könnten auf ersten Hoffnungen keine Taten folgen.