Unser Fleischkonsum: eine Verdrängungsleistung. Gespräch mit Journalist Christoph Drösser.

Ein Buch über Fleisch nicht nur für Kinder

Seit Winter 2020 bin ich immer wieder auch an Schulen unterwegs, um zu bestimmten Themenschwerpunkten in den Klassen mit den SchülerInnen zu sprechen, zu diskutieren und zum Denken anzuregen. Ziel ist es stets, einen Mittelweg anzustreben für all diejenigen, die nicht vegan leben wollen oder können.

Ein Kinder-Fachbuch, das diesen Mittelweg ebenso anstrebt, habe ich in Christoph Drösser „Es geht um die Wurst“ gefunden. Eigentlich ein Kinderbuch, zeigt Drösser hier ohne erhobenen Zeigefinger die Informationen, die jeder im Kopf haben sollte, der Fleisch isst. Der Journalist selbst sieht eine Zukunft im „In Vitro-Fleisch“; erkennt aber heute die Realität an: Derzeit essen viele Menschen viel Fleisch. Also braucht es einen Weg, diesen Konsum in Wege zu lenken, die wir wenigstens offenen Auges gehen können. Und nicht wegschaltend, weil wir die Gräueltaten der Fleischindustrie nicht mehr sehen können.

Zur Person:

Christoph Drösser war 18 Jahre lang Redakteur bei „Die Zeit“ in Hamburg. Dort arbeitete er im Ressort Wissen und war von 2004 bis 2006 Gründungs-Chefredakteur des Magazins „Zeit Wissen“. Seit 2014 lebt er als freier Journalist und Autor in San Francisco/USA. Der „Wissenschaftsjournalist des Jahres 2005“ (Medium Magazin) versteht es, Menschen in komplexe Sachverhalte spielerisch einzuführen und dadurch im Verstehen mitzunehmen.

Eine Gabe, die gerade bei der Frage „Dürfen wir Fleisch essen und wenn ja, wie?“ einen hohen Stellenwert erlangt. Also, los gehts:

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, ein Buch über Fleischkonsum speziell für Kinder zu schreiben?  

Es war eine Idee der Illustratorin, Nora Coenenberg. Wir beide haben kleine Kinder und machen uns Gedanken um deren Ernährung. Und wir beide sind keine Vegetarier und wollen auch unsere Kinder nicht dazu bekehren. Deshalb war unser Anspruch: Wir schreiben ein Buch über Fleisch, das alle wichtigen Informationen enthält – und die Leserinnen und Leser können sich ihre eigene Meinung bilden.

Wie erklären Sie sich, dass wir Menschen über die katastrophalen Folgen für Tier und Mensch medial gut informiert sein müssten, die meisten von uns aber „normal“ weiter essen und einkaufen?

Ich glaube dass viele Menschen – und da schließe ich mich selber nicht aus – die Frage, woher das Fleisch kommt, lieber verdrängen. Und dass Eltern sich davor drücken, das mit ihren Kindern zu besprechen. Schließlich geht es um fühlende Lebewesen, die getötet werden und deren Haltung meist nicht sehr human ist, außerdem hat die Fleischproduktion Folgen für die Umwelt. Man will es vielleicht lieber nicht so genau wissen.

Woher haben Sie Ihre differenzierte Sicht gewonnen? Haben Sie beispielsweise über Ihre umfangreichen Recherchen hinaus auch Menschen auf Ihren Höfen besucht? 

Nein, das ging leider nicht – hier in den USA ist die Situation eine ganz andere, und das wäre dann ein anderes Buch geworden. Ich wusste vorher schon, dass Bio-Fleischproduktion nicht bedeutet, dass die Tiere auf einem der Bauernhöfe aufwachsen, die man gern in Kinderbüchern abbildet.

Bio ist generell ein guter Ratschlag, wenn es um die Umweltfolgen geht – beim Tierwohl muss man differenzierter hinsehen.

Fleisch und Milch sollten aus guter Quelle stammen. Was bedeutet „gut“ für Sie persönlich und welche Tipps geben Sie Freunden, Kollegen und Bekannten weiter, damit diese für sich einschätzen können: „Ja, das scheint eine ehrlich gute Herkunft zu sein!“?  

Ich kann von jemandem, der vielleicht den ganzen Tag arbeitet und dann abends schnell noch im Supermarkt einkauft, nicht erwarten, dass er oder sie große Recherchen über die Herkunft des Fleischs anstellt. Deshalb finde ich die Siegel auf den Packungen erst mal gut, vom europäischen Bio-Siegel bis zu diversen Tierwohl-Siegeln. Schöner ist es natürlich, wenn man sich Zeit nehmen kann und etwa auf dem Markt direkt mit den Produzenten in Kontakt kommt.

Machen wir Beide das Glas halb voll: In 10 Jahren hat sich das Konsumverhalten verändert: Fleisch und Milch erhalten einen Wert und damit adäquaten Preis zugesprochen. Wir konsumieren deutlich weniger und sind neugierig auf die Herkunft. Was sind aus Ihrer Sicht die Milestones gewesen, damit das geschehen konnte?

So lange Billigfleisch angeboten wird, werden die Leute es auch kaufen. Damit verantwortungsvoll produziertes Fleisch konkurrenzfähig ist, halte ich schärfere Regeln für Umweltschutz und Tierwohl für unverzichtbar. Ansonsten setze ich auf die junge Generation: Die zeigt ja ein starkes Bewusstsein etwa zum Klimawandel, und man kann ihr auch die Folgen der industriellen Fleischproduktion klar machen.

Als ein Bewohner der Gegend um San Francisco baue ich zudem auf neue Alternativen zum Fleisch: Unsere Gegend ist das Weltzentrum bei der Erforschung schmackhafter Fleisch-Alternativen und beim sogenannten „In-Vitro-Fleisch“. Da wird es in absehbarer Zeit Produkte geben, die auch passionierten Fleischessern das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen.

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