Im Galopp Richtung Zukunft: Zwei Höfe und ihre persönlichen Wege zu „Wert hoch“ statt „Preis runter“.

Fleisch und Milch? Auf dem Weg zum Wert

Es ist 4:45 Uhr, als der Wecker an einem Freitagmorgen in Münster klingelt. Espresso, winzige Sport-Session, Kleinigkeit essen und schon klingelt Lioba an der Haustür. Gemeinsam holen wir Jeanette ab.  

Die Mädels haben an diesem Tag Urlaub genommen und ich meine Arbeit umgeschichtet. Heute werden wir zwei Höfe besuchen, die jeder für sich unterschiedlich arbeitet. Doch beide haben sie Antwort auf eine brennende Frage: 

Wie können wir statt endloser Preisdiskussionen (im Cent-Bereich) beginnen, über den Wert von Fleisch und Milch zu sprechen?  

Und mögliche Antworten interessieren nicht nur uns. Auch Journalist Stefan Quante, der seinen Blick auf den Wert von Lebensmitteln schon seit vielen Jahren geschult hat, ist heute mit seinem Team vom WDR mit dabei. Also: Hier kommt ein Vorzeigebeispiel für ‚DIE Landwirtschaft gibt es nicht – sie ist wunderbar bunt.‘

Biohof Jörgens: Drei Mädels und eine unwiderstehliche Einladung 

„Die Menschen kaufen bei uns nicht nur Lebensmittel. Sie kaufen Glaubwürdigkeit.“

Lena Jörgens

Es geht zunächst gen Westen zum Biohof Jörgens in Burscheid/Bergisches Land. Lena erwartet uns dort mit ihren beiden jüngeren Zwillingsschwestern Nina und Sina. Dass die tiergerechtere Landwirtschaft weiblich geprägt ist, weiss jeder, der regelmäßig Beiträge vom Weidefunk liest. Aber drei Schwestern auf einmal? Wow – geballte Frauenpower. Wahrscheinlich hat sich auch das WDR-Team einen Bauernhof personell erst einmal anders vorgestellt.

Der Hof Jörgens wird im Nebenerwerb betrieben. Auf 37 ha leben ca. 50 Tiere mit Kälbern, vorrangig Charolais-Rinder zur Fleischdirektvermarktung. Jedes der Tiere hat einen Namen. Denn Jörgens ist ein Familienbetrieb, wo jeder in der Familie mit anpackt. Und wo jedes Tier eben auch Teil der Familie ist. 

„Opa hatte hier früher noch Milchvieh im Haupterwerb stehen.“ Erzählt Lena. „Aber Papa ist von Beruf Tierarzt, und stellte auf Mutterkuhherde um.“ Die Trennung von Mutter und Kalb wollte Papa Wilfried nicht. Heute gibt es stattdessen Fleischpakete ab 15 Kilo aufwärts sowie Eier aus dem Hühnermobil. Und einen herrlichen Anblick auf ihre Tiere, den die drei Schwestern bewusst den Menschen schenken wollen. 

Fleisch, Eier & Co. sind Produkte, die eine Geschichte brauchen

Lena ist Krankenschwester, Nina macht eine Ausbildung auf einem Milchviehbetrieb, Sina eine zur Bürokauffrau. Und zusammen managen sie den Hof. Ihr Königsweg: 

„Wir wollen, dass die Menschen zu uns kommen, uns alles fragen, was sie wissen wollen!“ 

Lena Jörgens

Das Fleisch wird per Mail oder Telefon bestellt. Bei Abholung ist jeder herzlich eingeladen, hinter die Kulissen zu schauen und seine Fragen loszuwerden. Auch über die sozialen Medien zeigen die Jörgens-Schwestern offen, was auf ihrem Hof passiert (Facebook & Instagram). Diese Art des Sprechens ist echt, es hat nichts Werberisches. Die Mädels erzählen die Geschichten, so wie sie sich auf dem Hof und in ihrem Leben ereignen.

Ihre wachsende Kundschaft zeigt sich davon begeistert. Ich frage Lena, woher diese Energie kommt, Landwirtschaft mit dieser offenen Haltung so konsequent zu verknüpfen: 

„Papa hat uns das in die Wiege gelegt!“

Die neue bäuerliche Landwirtschaft macht von sich Reden

Papa Wilfried ist entsprechend stolz auf seine Töchter und vollkommen entspannt, was die Zukunft des Hofes anbelangt – er hat sich inzwischen vom Betriebsgeschehen zurückgezogen, arbeitet ausschließlich als Tierarzt: 

„Die Mädels machen das toll!“ 

Wilfried Jörgens

Jörgens haben sich als Bio-Betrieb dem Biokreis e.V. angeschlossen, hier fühlen sie sich in guter Gemeinschaft. Ihr Ziel ist es, den Hof wieder in den Haupterwerb zu bringen. „Dann wieder mit Milchvieh“, schwärmt Nina. Auf ihrem Ausbildungsbetrieb werden die Kälber – wie üblich – von den Müttern getrennt. Dies wollen die Jörgens-Schwestern mit der muttergebundenen Kälberaufzucht später anders machen. Nina schwärmt:

„wenn unsere Kunden dann sehen werden, wie die Kälber bei den Milchkühen aufwachsen, das ist genial.“ 

Nina Jörgens

Journalist Stefan Quante, der mit seinem Team bislang dezent im Hintergrund gedreht hatte, meldet sich begeistert zu Wort: „Das ist echt ein Bauernhof wie aus der Vergangenheit!“ Dem auf gustatorische Themen spezialisierte Journalist ist die Fleischqualität wichtig; und die wirkt für ihn direkt mit der Haltung der Tiere zusammen. Er hakt nach: 

„Kann man also doch von bäuerlicher Landwirtschaft leben, sind Sie ein Beispiel?“ 

Stefan Quante

„Ja, absolut!“ Sagt Lena. „Die Direktvermarktung und das direkte Sprechen mit den Menschen macht es aus.“ Die Mädels verknüpfen ihre bodenständige Haltung mit modernen Formen der Vermarktung: Einen Eierautomaten haben sie bereits, es folgt ein Fleischautomat, damit ihre Kunden das Fleisch flexibler abholen können. 

Ihre Produkte seien „schon hochpreisig“. Und meinen damit: sie haben höhere Preise als im Durchschnitt. Aber das bremst die Jörgen‘schen Entwicklungspläne nicht, im Gegenteil. Sie könnten noch viel mehr verkaufen. Aber sie gehen sinnig ran: nicht einfach nur Wachstum, sondern ein Schritt folgt dem nächsten.  

Auf diesen Schritten nehmen sie ihre Kunden aktiv mit, beziehen sie ein. Diese Einladung in eine neue, offene Landwirtschaft erzeugt Werte für ihre Kunden. Gleichfalls erhalten die Jörgens aber auch Wert von ihren Kunden zurück: gespiegelt durch das Zahlen angemessener Preise sowie der vollen Wertschätzung für ihre tägliche Arbeit. 

Auch wir empfinden großen Respekt vor den jungen Frauen, die mit voller Entschlossenheit ihren eigenen landwirtschaftlichen Weg gehen. Sie verbinden alte Tugenden echter bäuerlicher Landwirtschaft wie selbstverständlich mit moderner Vermarktung und zeitgemäßer Kommunikation. 

Wir verabschieden uns gegen Mittag von dieser außergewöhnlichen Familie und steuern gemeinsam mit dem WDR Richtung Dortmund.

Hof Sackern: Natürlich wirtschaften – eine alte neue Fähigkeit

„Alle hier sind Quereinsteiger.“

Stefan König

Unser zweiter Hof liegt in Wetter an der Ruhr: Hof Sackern. Wir sitzen noch im Auto und packen unser Equipment zusammen, da beobachten wir, wie ein Mensch nach dem nächsten an uns vorbeiwandert. Mit Taschen bepackt, zieht es sie fast magisch zu einem bestimmten Punkt. Wir werden später sehen, wohin. Und verstehen. 

Wir steigen aus und Stefan König kommt uns entgegen. Er ist einer von sieben Pächtern des Hofes. Hof-Inhaber ist keine Person, sondern der Verein Hof Sackern e.V., der den Betrieb 1995 kaufte. „Keiner hier kommt aus der Landwirtschaft!“ erzählt er uns, alle Pächter sind Quereinsteiger in die Landwirtschaft. Doch sie alle verbindet ein Antrieb: sie wollen mit der Natur wirtschaften, nicht gegen sie. 

Von Klischees wegkommen

Der Demeter-Betrieb bewirtschaftet auf ca. 50 ha Getreide-, Kartoffel- und Gemüseanbau. 12 Milchkühe, die von einem Bullen geführt und in muttergebundener Kälberaufzucht leben, sowie 14 Schweine und rund 300 Hühner leben hier in einem kleinen Paradies. Derzeit werden die Tiere bei einem kleinen Metzger in Waltrop, ca. 35 Min. Fahrtzeit vom Hof, geschlachtet. Doch die Mobilschlachtung soll in den nächsten Jahren kommen, was zum ganzheitlichen Konzept dieses Hofes einfach nur perfekt passt. Wir beobachten bei allen Tieren viel Auslauf, freie Flächen, naturwüchsiges Gelände, eine ruhige Atmosphäre. 

Natürlich wirtschaften, im Einklang der Natur. Ja, da kommen gerne Klischees auf: Etwa von der Kommune, die hier ‚einen auf Eigenversorgung macht.‘ Doch Hof Sackern ist ein wirtschaftlich arbeitender Betrieb. Und ein erfolgreicher dazu.  

Natur und Wirtschaft im erfolgreichen Einklang 

Neben den sieben Gesellschaftern tummeln sich auf diesem historisch gewachsenen Hof einige Mitarbeitende, Lehrlinge und Praktikanten. Jeder lebt von diesem Hof, keiner hat externe Zuverdienste. Doch kann so ein Hof rentabel sein? Oder wie Stefan Quante fragt: „Kann dieser Hof euch ernähren?“ Stefan König lächelt: 

„Wir ernähren viel mehr Menschen!“ 

Stefan König

Oh ja. Die Menschen, die an der Motorhaube bei uns vorbeizogen, sind vorrangig Stammkunden. Es ist Freitag, und wir dürfen das ganz übliche und sich drei Tage in der Woche wiederholende Schauspiel beobachten, wenn begeisterte Stammkunden den Hofladen ansteuern. Hof Sackern ist eine kleine landwirtschaftliche Institution in dieser Region. „Wir haben hier eben unseren eigenen kleinen Handel!“ erzählt uns Stefan. 

„Der Hofladen ist ein eigenes Gewerbe, das von uns beliefert wird.“

Stefan König

Verkauft wird über den Hofladen sowie über die Abo-Kisten. Vor allem Getreide wird hier zu Brot verarbeitet, ferner gibt es Eier, Kartoffeln und Fleisch. Die Milch aus muttergebundener Kälberaufzucht wird als Frischmilch sowie als Sauermilch verkauft. 

Kein Werben mit fetten Versprechungen, sondern echten Wissenshunger stillen

„Wir können gar nicht leisten, was an Nachfrage hier ankommt!“ 

Stefan König

Hof Sackern ist kein Vorzeige-Objekt, das beliebig reproduziert werden kann. Aber er bzw. die dahinterstehende Gemeinschaft vermag etwas anderes: Nämlich zeigen, dass viele Diskussionen nicht so absolut sind, wie es in den Medien gerne mal erscheint, wie etwa: 

‚Höhere Fleisch- und Milchpreise zahlen die Menschen nicht.‘

Die Kunden von Hof Sackern gehören mitnichten der Oberschicht an. Sie sind eine bunte Zusammensetzung aus allen Bevölkerungsschichten. Der Hof legt aber zu seinen Produkten etwas dazu: für die Augen und Sinne. Für unser Gefühl, dass wir hier vertrauen dürfen. 

Das stiftet Wert. Und Werte machen neugierig. Stefan Quante fragt nach: 

„Wollen die Leute heute mehr wissen als früher?“ 

„Ja, absolut.“ bestätigt der Demeter-Landwirt. „Die Leute wollen immer mehr erleben, wo ihre Lebensmittel herkommen.“ Auf Hofführungen und anderen kleinen Veranstaltungen erfahren sie es, aber auch über die sozialen Medien wird natürlich kommuniziert. Beim Blick auf die Rinder erwähnt Stefan mit einem Augenzwinkern: 

„Zu meinen Auszubildenden sag ich auch gern: Guckt, jetzt beginnt das Show-Melken.“

Was für eine krasse Entwicklung, die man sich gerne mal bewusst machen darf: Vor 10 Jahren hätte keiner darüber gesprochen, ob Melken wohl eine interessante Tätigkeit wäre. Heute beeinflusst das Zuschauen, das neugierige Erfragen und Erfahren von Hintergründen konkrete Kaufszenarien. 

„Ja, das ist schon so – die Milch wird uns quasi aus den Fingern gerissen.“

Lacht Stefan. Und generell „können wir gar nicht leisten, was hier an Nachfrage reinkommt.“ 

Wir zahlen den Preis, dessen Wert uns bewusst wird

Stefan wollte ehedem Psychologie studieren. Stattdessen arbeitet er seit 20 Jahren mit und auf diesem Hof. Ich möchte wissen, woher diese Leidenschaft für die Landwirtschaft stammt. 

„Ich wollte irgendwie immer frei sein und selbst gestalten. Und man will doch ändern, was einem nicht gefällt, oder?“

Hof Sackern lebt für sich ein starkes Prinzip: Wachstum nur im Rahmen der eigenen Potenziale. Natürlich kann dies nicht auf alle landwirtschaftlichen Betriebe mal eben so übertragen werden. Doch es deutet auf eine erweiterte Preisdiskussion hin: Denn mal abgesehen vom Tierleid – was zunächst als „teurer“ erscheint, etwa in einzelnen Preisen für Milch, Fleisch, Eier & Co., reduziert andere Kosten für eine Gesellschaft drastisch: nämlich die Folgeschäden, mit denen wir als Gesellschaft irgendwann umgehen müssen. 

Wir alle kommen an dieser Gesamtrechnung nicht vorbei. 

Es ist ein Irrglaube zu sagen: Es gibt DEN Milchpreis oder DEN Fleischpreis. Wir alle bestimmen gemeinsam, was in die Einkaufstüte kommt. Die Höfe, die wir heute besucht haben, beten uns das aber nicht vor, sie missionieren nicht, sie werben nicht. Und schon gar nicht mit tollen Angeboten. Sie haben etwas viel Attraktiveres im Gepäck:  

Sie zeigen uns den täglich erzeugten Gegenwert einer tier- und naturgerechten Landwirtschaft. Machen wir uns diesen Wert ab und zu einmal bewusst. Und wir werden die Preise für Fleisch und Milch mit anderen Augen sehen. 

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