Du bist an der Fleischtheke: Wie häufig denkst Du an den wahren Wert der Lebensmittel?

Lebensmittel würdigen oder: Wenn Wert auf Verwertung trifft

Ingmar (alias #Hofhuhn) fragte jüngst in einem Instagram-Post mal wieder treffend: „Was macht Lebensmittel für Euch wertvoll?“ Eine Antwort darauf ist gar nicht mal so einfach! 

Das Wertvolle lässt sich schlecht greifen. Denn für jeden bedeutet „Wert“ etwas anderes. Doch näheren wir uns vom Gegenteil an, könnte es sichtbarer werden: Wert-los ist das, was wir achtlos wegschmeißen. Hashtag Lebensmittelverschwendung.

Und bei Fleisch, Milch & Co. ballert Verschwendung doppelt und dreifach rein. Wert entsteht also u.a. durch seine Art der Verwertung. 

Wertvolle Tendenz: Die Gesamtverwertung eines Tieres 

Hast Du mal ein Tier zerlegt (oder zerwirkt, falls Du JägerIn bist)? Wenn nein, geht es Dir so wie uns. So viel wir im Weidefunk über Fleisch schreiben und Tierhaltung zeigen – so wenig wissen wir darüber, was nach dem Tod eines Tieres bestenfalls geschieht, damit dieser Tod einen angemessenen Wert bekommt. 

In unserer Industriekultur sind wir feine Stücke gewohnt. Würde uns jemand am Abend ein Schweineohr servieren, würden viele von uns pikiert auf den Teller schauen. 

Die Gesamtverwertung eines Tieres – also „From Nose to Tail“ – ist aber im Kommen! Aus guten Gründen. Neben dem Respekt vor dem Tier, bietet diese Art der Verarbeitung Chancen für Landwirte und Metzger. 

Jeanette und ich durften das lernen – hautnah und von einem der Besten: Christoph Grabowski. Reinhard Holtmann lud uns zu einem von Christophs Zerlege-Seminaren in die Metzgerei Thier (Münster/Mecklenbeck) ein. 

Dem Tod des Tieres einen angemessenen Wert geben

„Wie meine Eltern mit dem Tod der Tiere umgegangen sind, prägt mich bis heute!“ 

Christoph Grabowski

Christoph Grabowski ist international als Fleischermeister und Diplom-Fleischsommelier unterwegs. Bekannt geworden ist gebürtige Castrop-Rauxeler für seine Art des Zerlegens eines Tieres. 

Christoph will, dass das Tier in seiner Gesamtheit gesehen und geschätzt wird. Nicht als Ansammlung einzelner Produkte, die je nach Trend – Filet, Entrecôte, Kotelett – aus dem Tier rausgeschnitten werden. Man könnte auch sagen: weg von der industriellen, hin zur ursprünglichen handwerklichen Verarbeitung. 

Der Respekt vor dem Tier begann bereits vor seiner Lehre 1981: seine Familie hielt damals Hühner, Schweine und Kaninchen, schlachtete und vermarktete diese: „Wie meine Eltern mit dem Tod der Tiere umgegangen sind, prägt mich bis heute!“ 

Bei seiner Fleischerlehre dann durfte Christoph diese wertvollen Erfahrungen ausweiten: Sein Lehrmeister beeinflusste ihn stark im respektvollen Umgang mit Tieren sowie deren Verarbeitung. Er erzählt ein lebendiges Beispiel: Zuviel Fleisch auf dem Knochen war bei seinem Lehrmeister ein NoGo: 

„Du löst das Fleisch so aus, dass der Hund vom Knochen nicht satt werden kann!“

Christoph

Für den Hund war das blöd, aber für Christoph eines seiner wertvollsten Lehren: Die Wertschätzung, dass wir bei der Tötung eines Tieres nichts wegschmeißen und alles sinnvoll verwerten! 

Als gefragter Fleischermeister, Fleisch-Sommelier, Vortragsredner und Buchautor unterstützt Christoph heute nicht jeden. Es muss passen von der Haltung. Und das tut es mit Christian und Petra Thier. 

Metzgermeister Christian Thier – Wache Augen für kluge Nachhaltigkeit  

Christian schaut neugierig über Christophs Schulter, der heute ein Iberico Schwein aus der Freilandhaltung von Reinhard Holtmann zerlegt. Christian Thier hat zusammen mit seiner Frau Petra die Metzgerei 2003 und damit zu einer Zeit gegründet, wo viele Fleischer das Gegenteil machten: sie schlossen. Der LEH zog an im Ausbau von Fleischtheken, und mit in den Sog kamen die Kunden. Eine Familien-Metzgerei nach der anderen musste schließen. 

Doch die beiden gebürtigen Mecklenbecker Christian und Petra ließen sich nicht abschrecken und gingen westfälisch stur ihren Weg: „Wir haben von Anfang an auf Qualität gesetzt, nicht auf Masse.“ So kannst Du auf ihrer Website nachlesen, woher die Tiere stammen.

„Wir arbeiten mit Betrieben zusammen, die ihre Tiere vernünftig behandeln und halten!“

Christian

Bei Rindern funktioniert das schon wunderbar, für Schweine suchen die Thiers derzeit noch: „Wir wollen bei Produkten vom Schwein umstellen: Strohhaltung, Offenstallhaltung, Freilandhaltung!“ erzählt Christian.

Neben dem innovativen Blick für eine gesunde, wesensgerechte und für den Landwirt nachhaltige Tierhaltung schauen die Thiers mit Begeisterung auf Entwicklungen, wie sie von Fleischsommelier Christoph angestoßen werden: gemeinsam, das heißt als familiäre Metzgerei und im Schulterschluss mit dem Landwirt gute und nachhaltige Produkte zu entwickeln! 

„Mir macht das richtig Freude, was der Christoph da macht!“ 

Christian

Versus dem S-Klasse-Schwein: Zerlegen mit Sinn für den Ursprung

Reinhard erklärt es mir: „Christoph hat sich auf die Fahne geschrieben: Wie kriege ich ein Tier noch besser wertgeschöpft? Es ist ganz einfach: Wenn der Metzger mehr Wertschöpfung hat, hat auch der Landwirt mehr davon.“

Auch Petra zeigt sich begeistert. Die leidenschaftliche Hobbyköchin hat die Metzgerei Thier zusammen mit ihrem Mann aufgebaut, und hier den Catering-Bereich erfolgreich aufgestellt. Für sie hat dieses Zerlege-Seminar etwas Ursprüngliches, Natürliches. Denn für sie ist es wichtig, mit welcher Herkunftsgeschichte die Tiere später als Fleischprodukte über den Tresen gereicht werden.

„Tierwohl heißt für mich, dass die Tiere während ihrer Lebenszeit nachvollziehbar wesensgerecht leben durften.“ 

Petra

Christoph unterstützt diesen Weg der Metzger und Landwirte mit aller Kraft: „Inga – ein Landwirt, der was auf sich hält, weiss: Ein Schwein, das artgerecht aufgewachsen ist, kann keine 65%ige Muskelfleischmasse haben! Das beschreibt ein Laborschwein (Hybridschwein).“

Christoph verteufelt diese Entwicklung aber nicht. Und das ist gut. Denn provokant gesagt, gehorcht diese Entwicklung nun einmal realen Bedürfnisstrukturen einer (übersättigten) Konsumgesellschaft. Eine Kehrtwende bekommen wir nicht durch Schimpfen hin. Sondern durch Anbieten attraktiverer und lebenswerterer Alternativen. 

Das Trio Christoph Grabowski, Landwirt Reinhard und Metzgerei Thier stehen sinnbildlich dafür.  

Landwirtschaft ist eben doch Leidenschaft: Neue Partnerschaften schaffen neue Märkte

„Landwirt – was ist dein Beruf? Bist du Leibeigener der Industrie? Hör auf Dein Herz! Ich glaube, wenn der Landwirt versteht, wie wertvoll sein Beruf ist, dann bricht er von selbst aus der Industrie aus.“

Christoph

Landwirte und Metzger haben vor vielen Jahren den Kontakt miteinander verloren. Das schien am Anfang attraktiv: „Hey Landwirt, säuselten die von den großen und immer größer werdenden Fleischproduzenten, „Wir machen das schon für Dich! Erzeuge und produziere die Menge, die wir dir sagen und dann läuft das schon.“ In eine schöne Abhängigkeit lief das dann schon. 

Christoph unterstützt Landwirte und Metzger tatkräftig, die sich bewusst entschieden haben, nicht nach den Regeln der Industrie zu ticken: „Was ist dein Beruf? Bist Du Leibeigener der Industrie? Hör auf Dein Herz! Ich glaube, wenn der Landwirt versteht, wie wertvoll sein Beruf ist, dann bricht er von selbst aus der Industrie aus.“ 

Christoph wünscht sich ein Wiedererstarken der Beziehung zwischen Landwirt und Metzger. Und ein tolles Vorbild kennen wir beide (wenngleich Christoph sie durchaus besser kennt): Steffi Oldenburg, Angus-Züchterin „Manche Käufer lehnt sie ab, wenn die mit dem LKW nur auf den Hof fahren.“ Christoph ist hin und weg, und dies nicht nur, da er Steffi als seine Partnerin wähnen darf: 

„Bei ihr spürt man die Leidenschaft! Die brennt für das, was sie tut. Und genau das ist die richtige Haltung in der Landwirtschaft!“ 

Christoph

Diese wünschenswerte Haltung verbreitet sich. Auch heute, auf diesem Zerlege-Seminar, war sie spürbar, dass Hände in den Schoss legen für handfeste Landwirte und Metzger keine Alternative darstellt. Wir können diese mutige und gesunde Entwicklung fördern, indem wir solche Symbiosen zwischen Metzgern und Landwirten mit offenen Augen und nettem Nachfragen unterstützen:

  • Interessiere Dich für die Herkunft des Tieres
  • Sei neugierig auf die Verarbeitung des Tieres
  • Schau hinter die Kulissen, wie eng Metzger und Landwirt in den ersten beiden Punkten zusammenarbeiten: Je enger viele Menschen in echt miteinander zusammen arbeiten, sich eigene Gedanken zu Nachhaltigkeit und ehrlichem Tierwohl machen, desto besser ist das Produkt!

Schreiben gegen die Verschwendung 

Vielen Dank an Tom, der als ausgezeichneter Food Fotograf uns einige der Bilder zur Verfügung gestellt hat!

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